Paula geht
Kapitel 1
Paula grub genüsslich ihre Zehen in den weichen Langhaarteppich. Vor ihr stand ein Rotweinkelch mit verführerisch schimmerndem Inhalt und Käseschnittchen, die sie freundlich anlächelten. Sie ließ sich rücklings auf das schwarzlederne Sofa fallen, das keinen Zentimeter nachgab. Ihr Blick blieb an dem Hightech-Fernseher hängen, der die halbe Wand ihr gegenüber bedeckte. Wenn sie zu lange auf die große schwarze Fläche schaute, bekam sie das Gefühl eines riesigen Blackouts. Schnell schaute sie auf das stylische Bücherregal daneben. Die Bücher schienen nach Farben geordnet zu sein. Hilfe, hier konnte sie kein Buch herausziehen, ohne eine heilige Ordnung zu zerstören. Auch auf den schwarzen Bodenfliesen und in der weinroten Hochglanzküche hatte sie befürchtet, illegale Spuren zu hinterlassen, obwohl ihre Anwesenheit eindeutig legitimiert war.
Selbst wenn ich jemals zu Reichtum komme, werde ich nie, nie so wohnen. Ich würde verwelken wie eine Ranunkel im Frost, dachte sie. Sie stutzte. – Was war das für ein Klappern an der Wohnungstür?
Eine Bratpfanne – gegen Einbrecher hilft nur eine Bratpfanne, war der einzig klare Gedanke, den sie fassen konnte. Sie huschte in die Küche, öffnete mehrere Schränke – Fingerabdrücke waren jetzt auch egal –, aber das Einzige, was sie finden konnte, war ein großer Edelstahltopf. Sie presste ihn mit beiden Händen an ihre Brust, rannte in den dunklen Flur, um sich dort neben der Garderobe zu verstecken und schrie auf, als sie gegen einen kräftig gebauten Mann stieß, der ihrem Topfansturm nicht gewachsen war und zu Boden ging.
Paula hob den Topf.
„Um Gottes Willen, was tun Sie hier?“, fragte er.
„Ich wohne hier“, sagte Paula.
„ Ich wohne hier, Sie komische Tante, Sie.“
Paula schaltete das LED-Deckenlicht ein und musterte den Mann. Nur mühsam konnte sie ein Kichern unterdrücken, zu schräg war die Situation. Er schien um die fünfzig zu sein, mindestens einen Tag nicht rasiert, trug ein teures Stöffchen und langsam dämmerte ihr, wen sie da vor sich hatte. Sie reichte ihm die Hand und zog ihn mit einem Ruck hoch. Viel zu dicht standen sie nun voreinander.
Er trat einen Schritt zurück und musterte sie nun seinerseits. Paula deutete eine Verbeugung an: „Gestatten Sie, ich bin Ihre Wohnungssitterin. Ich vermute, Sie sind Herr Hugendubel?“
Seine Stirnfalten vertieften sich.
„Hat Ihre Frau Sie nicht informiert?“
Er zog sein iPhone aus der Jackettasche und scrollte hektisch durch die E-Mails.
„Kommen Sie doch rein, wenn Sie schon hier wohnen.“ Paula ging voran in das Wohnzimmer und setzte sich möglichst würdevoll auf die Kante des schwarzen Möbelmonstrums. Der abgeblätterte grüne Lack auf ihren Zehennägeln erinnerte sie an schlecht gemähten Rasen. Paula, du solltest wirklich mehr auf dein Äußeres achten, schimpfte sie im Stillen mit sich und wurde langsam nervös, weil Herr Hugendubel sie nun erneut eingehend musterte. Verlegen schob sie den Teller mit den Käsebroten in seine Richtung. „Ich wollte gerade zu Abend essen, vielleicht haben Sie auch Hunger – einen Wein habe ich auch aufgemacht. Warten Sie, ich hole Ihnen ein Glas.“
Erschöpft strich sich Herr Hugendubel die struppigen grauschwarzen Haare aus der Stirn. „Das wäre nett, gerne.“
Paula lief in die Küche und zog dabei den Bauch ein. Trotz seiner etwas verlebten Erscheinung war der Kerl auf ihrem, pardon seinem Sofa nicht unattraktiv.
Nach dem dritten Glas Wein legte er seine Krawatte ab und sagte: „Frau Sommer, ich habe schon lange nicht mehr so viel gelacht.“
Paula ging es ähnlich, sie hatte sich wirklich gut unterhalten, er war absolut sympathisch. Niemals hätte sie diesen Mann in dieser Wohnung erwartet. Sie besann sich auf ihren Job, schließlich wurde sie ja nicht fürs Rumsitzen bezahlt. Ach nee, bezahlt wurde sie ja nicht, aber übernachten durfte sie hier. Und das würde sie sich definitiv nicht nehmen lassen, auch wenn der Herr Wohnungsbesitzer sein Zeitmanagement nicht im Griff hatte. Sie räusperte sich. „Wie machen wir das denn heute mit dem Übernachten?“
„Ich wollte gerne auf der Durchreise hier schlafen, bevor es morgen weiter nach Singapur geht. Wir sind ja nicht weit vom Flughafen. Im eigenen Bett schläft man doch am besten. Für wie lange hat meine Frau Sie gebucht?“
„Warten Sie, jetzt sind es noch genau neun Tage. Und natürlich können Sie in Ihrem Bett schlafen, ich ziehe“, sie sah sich
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