1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
hinweist, wie sehr sich die Männer heute irren, wenn sie an allem Übel den Frauen die Schuld geben. Ich werde es Lady Arabella Stuart widmen.«
Dieser Name war mir vertraut. Das war eine Cousine des Stuartkönigs, von der mein Herr Sully glaubte, dass sie im Jahre 1603 einen ebenso großen Anspruch auf den Thron gehabt hatte wie James. Aemilia würde nur wenig Geld dafür bekommen, wenn sie ihre Poesie einer Frau widmete, die der König nicht gerade mit einer üppigen Pension bedachte.
Ich täuschte Überraschung vor. »Wird so etwas denn noch nötig sein? Wenn Ihr die Mitverschwörerin des Mannes seid, der Heinrich IX. auf den Thron setzt, werdet Ihr dann keine einflussreiche Frau unter der neuen Regierung sein?«
Wir ritten gerade durch Apfelplantagen. Aemilia antwortete mir mit feiner, aber beißender Ironie. »Ich nehme an, man wird mir eine kleine Pension gewähren, den bescheidenen Fähigkeiten einer Frau angemessen.«
»Ihr werdet also keine Charlotte d'Entragues sein, hm?« Die für ihre Verschwörungen berüchtigte Marquise von Verneuil war vielleicht nicht das beste Beispiel, dachte ich, noch während ich sprach. Sie ist eigentlich nichts weiter als eine Hure. »Ich meine in Bezug auf politischen Einfluss«, fügte ich hinzu.
Aemilia Lanier lehnte sich gegen meinen Arm, den ich um ihren Rücken geschlungen hatte, und senkte den Kopf, sodass ich ihren Gesichtsausdruck nicht sehen konnte.
»In England ist vieles anders«, sagte sie schließlich und bemerkte dann: »Mir ist aufgefallen, dass Ihr Doktor Fludd eine Frage nicht gestellt habt, Monsieur. Ihr habt ihn nicht gefragt, wann Ihr sterben werdet.«
Das ließ mich die Augenbrauen heben. »So dumm bin ich nicht. Habt Ihr?«
Sie nickte. Eine schwarze Locke kroch unter ihrer Leinenhaube hervor. Ich nahm mir die Freiheit, sie mit meiner behandschuhten Hand wieder unter den Stoff zu schieben.
»Das sind Geschichten, um kleine Kinder damit zu erschrecken.« Ich strich mit den Knöcheln über ihre Wange. Ihre Haut war glatt und trotz der Falten in ihren Augenwinkeln nicht bemalt. Steck sie in ein Hofkleid, und sie hätte viele Bewunderer in St Germain.
»Er hat mir gesagt, ich könne zwischen einem langen Leben in Armut unter König James oder einem kurzen in bescheidenem Wohlstand und mit einem Namen unter Prinz Heinrich wählen. Wenn James lebt, werde ich eine derjenigen sein, die sich ihren Lebensunterhalt mit der Feder verdienen und unbekannt sterben. Wenn Heinrich herrscht …« Sie hob den Kopf und blickte mich mit schimmernden Augen an. Sie weinte nicht, aber da waren Tränen in ihren Augenwinkeln. »Euch muss das sehr unbedeutend erscheinen. Ich habe schon immer geschrieben, schon als ich noch die kleine Aemilia Bassano war, erzogen von der Gräfin von Sussex und immer wieder geschlagen wegen meiner unfraulichen Beschäftigung. Ich würde meine Seele dafür geben, an Master Jonsons Stelle zu sein und für den Hof schreiben zu dürfen. Fludd ist ein guter Mann, und was er tut, ist gerecht, doch er weiß mehr, als ein Mensch wissen sollte.«
Ich wollte sie an mich drücken, doch ich gab mich damit zufrieden, die Zügel in die linke Hand zu nehmen und ihr die weiße Hand zu tätscheln. »Warum sollte ich ihm eine Frage stellen, die man normalerweise Kräuterhexen und Wahrsagern auf Jahrmärkten stellt?«
»Master Hariot hat das Gleiche gesagt. Ich glaube, ich bin die Einzige, die Doktor Fludd das gefragt hat, und dafür nennt er mich schwach und weibisch. Da habe ich mir gedacht«, sie hob die dunklen Augen, »dass Master Hariot viel zu sehr an Doktor Fludd glaubt, als dass er ihn das je fragen würde.«
Ich lachte. »Oder aber er hat einfach genug Verstand! Welcher Mann will denn schon seinen Todestag kennen? Es reicht doch zu wissen, dass es irgendwann so weit ist.«
Die Straßen in England waren weit schlechter als sonst wo in Europa. Das Wetter blieb jedoch sonnig und trocken, sodass die Packpferde und Karren recht schnell vorankamen, wenn auch deutlich langsamer als ein einzelner Reiter. Auf unserem Weg durch das Land mit Namen Surrey hatten wir kaum Gesellschaft auf der Straße – tatsächlich hatte ich sogar das Gefühl, dass uns die meisten anderen Reisenden aus dem Weg gingen.
Aemilia Lanier beantwortete meine Fragen. »Wo, glaubt Ihr, stammen diese Kleider her? Sie sind von den Toten, Monsieur. Fludds Arbeiter nehmen sie den Pestopfern ab. Ein Blick in die Kirchenbücher wird Euch verraten, wie gut das Geschäft in letzter Zeit
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