1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
Protagonisten seiner Drei Musketiere einem historischen Roman von Gatien de Courtilz de Sandras entlehnt hat, einem Schriftsteller des ausgehenden siebzehnten Jahrhunderts. Dumas hat immer wieder gerne behauptet, seine vier Helden, D'Artagnan, Athos, Porthos und Aramis, seien der historischen Realität entliehen; doch ist wahrscheinlich, dass er diese Figuren in Wahrheit stets für erfunden gehalten hat. Tatsächlich hat die moderne Forschung jedoch herausgefunden, dass es bei den Musketieren des Königs in der Tat Männer dieses Namens gegeben hat (auch wenn die Handlung des Romans sich mehr an Gerüchten und Legenden orientiert): Charles de Batz-Castlemore, Sieur d'Artagnan; Armand de Sillégue, Seigneur d'Athos et d'Auteville; Isaac de Portau und Henri d'Aramitz.
Der ›Romancier‹ Courtilz war in Wahrheit Biograph – wenn auch ein ungenauer.
Ebenso habe ich herausgefunden, dass auch The Sons of Sword and Hazard Geschichte im Gewand eines Romans ist. Rochefort – Valentin Raoul St Cyprian Anne-Marie Rochefort de Cossé Brissac, um ihn beim vollen Namen zu nennen – basiert zumindest auf einer real existierenden Persönlichkeit.
Aus dieser Tatsache heraus erwuchs eine Leidenschaft, die an Besessenheit grenzt.
All das war nichts Neues für die Literaturkritiker, das ist wahr, oder zumindest für jene, die sich für Abenteuergeschichten interessieren. Die vollständigen Memoiren existieren nur in beschädigter Form, und es war purer Zufall, dass die vom Feuer geschwärzten Seiten nicht weggeworfen worden sind. Mit Hilfe eines Stipendiums konnte ich nach Paris reisen und habe dort das Originalmanuskript gesehen. Mein Schulfranzösisch half mir jedoch nur wenig bei den (allerdings sehr freundlichen) Kuratoren und noch weniger bei der Entzifferung des in Mittelfranzösisch verfassten und von Rocheforts eigener Hand geschriebenen Textes.
Zehn Jahre später, nachdem es mir gelungen war, mir genügend Französisch in den Kopf zu hämmern – ich bin wahrlich kein Sprachgenie –, arbeitete ich an meinem zweiten Magistergrad. An der Universität sah ich dann zum ersten Mal Leute, die mit Hilfe von Computern mittelalterliche und neuzeitliche Handschriften analysierten und dabei auch ›verlorene‹ Textfragmente zu rekonstruieren versuchten.
Zuvor hatte ich darüber nachgedacht, The Sons of Sword and Hazard neu zu übersetzen, doch das scheint angesichts der Frische von Weymans und Maquets Texten unnötig zu sein. Für jene, die eine bis zur Unkenntlichkeit verstaubte Sprache erwarten, ist das stets eine freudige Überraschung. Ich wusste sofort, dass ich stattdessen die neuen Technologien auf Rocheforts Memoiren anwenden wollte.
Somit ist diese Übersetzung der Memoiren eine Zugabe zum klassischen Roman. Ich habe versucht, Rocheforts wiederentdeckte Erzählung in modernes Englisch zu übertragen, sodass wir die Geschichte leicht herunterlesen können, ohne dabei den atmosphärischen Stil der alten Terminologie gänzlich zu verlieren.
An dieser Stelle sollte ich den unbedarften Leser vielleicht warnen, dass der vollständige Text der Memoiren Passagen enthält, die im Auge eines Betrachters aus dem zwanzigsten Jahrhundert erotisch oder gar pornografisch wirken könnten, je nach Blickwinkel. Rochefort, der gut vierzig Jahre nach Montaigne geschrieben hat, folgt dem Muster der Essais bei seinem rückhaltlosen Geständnis in Bezug auf sein eigenes, widerstreitendes Sexualleben. Wo The Sons of Sword and Hazard eine Geschichte machiavellistischer Politik und Romanzen ist, sind die Memoiren unter anderem eine Geschichte sexueller Obsessionen.
Aber vielleicht ist das ja das Gleiche. Jeder Leser von Stanley J. Weyman, Rafael Sabatini, Georgette Heyer und Dumas muss zugeben, dass die populäre historische Romanze einen starken sexuellen Unterton aufweist, aus der sie insgeheim ihre Kraft bezieht.
In mancherlei Hinsicht ist das auch die Antwort auf die Frage: Warum ausgerechnet jetzt eine Neuausgabe der Memoiren? Ich bezweifele, dass man den Text im Jahre 1894 hätte veröffentlichen können, selbst wenn er bekannt gewesen wäre. Aber wie auch immer: In jedem Fall haben wir es heute nicht mehr mit der Art von Zensur oder Selbstzensur zu tun wie im viktorianischen England. Heute kann man Rocheforts Geständnisse vielleicht mit Mitgefühl oder gar Verständnis lesen – wenn auch mit einem gewissen Maß an Amüsement.
An dieser Stelle sollte ich vielleicht anmerken, dass die seltsamsten Stellen der Memoiren
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