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1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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kommen.«
    Stumme Schatten huschten durchs Fackellicht.
    Field kreischte.
    Jeder Mann reagiert instinktiv auf das Geräusch menschlicher Panik, doch nur den Bruchteil einer Sekunde später hatte ich bereits eine Erklärung für die Schatten. »Das sind Fledermäuse, Monsieur! Kein Grund …«
    Er schrie wie ein Mann, wenn er nicht genug Luft in die Lunge bekommt, und deutete nach vorn. Seine Fackel fiel auf den Felsboden und rollte in einer stinkenden Rauchwolke davon. Mein Licht erhellte das, was er so anstarrte. Ein weißes Gesicht mit breitem Mund, ganz und gar nicht menschlich …
    » Aaah !« Er packte mich am Arm und schlug mir die Fackel aus der Hand. Sie fiel, rollte ins Wasser und erlosch. »Ich habe sie gesehen! Ich habe sie gesehen!«
    Fields Kreischen hallte von den Wänden wider. Ich ignorierte ihn und versuchte, mich aus der Erinnerung zu orientieren. Dann bückte ich mich, fand die Fackel wieder und entzündete sie erneut.
    »Ich werde jetzt sterben«, flüsterte der englische Junge.
    Das Rauschen von Flügelschlägen veranlasste mich, mich zu ducken. Mit pochendem Herzen murmelte ich: »Nur falls ich Euch mangels Geduld umbringe, Messire.« Dann steckte ich mein Rapier wieder weg – ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich es gezogen hatte.
    »Kommt.« Ich schob eine Hand unter Fields Arm, und da er nicht gehen wollte, schleppte ich ihn hinter mir her. Abermals überquerte ich den kleinen Bach und verließ die Höhle. Als wir schließlich wieder an der frischen Luft anlangten, wusste ich nicht, ob er sich die Hose im Wasser nass gemacht oder das selbst getan hatte, als er das gesehen hatte, was er offenbar für eine Hexe hielt.
    Nur unter großen Schwierigkeiten gelang es mir, ihn den Hügel hinunter und wieder zur Papiermühle zu schaffen. Er stand vollkommen unter Schock. Ich hatte so etwas schon bei Kämpfen in den Niederlanden gesehen. Bei eingebildeten Feinden funktioniert das offenbar auch, dachte ich, als ich Ned wieder seinem Vater übergab, welcher ihn wiederum an seine Frau weiterreichte, die ihn ins Haus führte.
    »Ich habe nichts gesehen«, sagte ich, als der kräftige Engländer den Haselnusszweig aufhob, der seinem Sohn aus dem Wams gefallen war.
    »Seid Ihr sicher, Master?«
    »So sicher, dass ich wieder zurückkehren und beenden werde, was ich angefangen habe.«
    Der Mann protestierte besorgt und misstrauisch zugleich. Kurz wünschte ich mir, ich hätte ein Kreuz des wahren Glaubens dabei – obwohl ich bei eingehenderem Nachdenken nicht sicher war, was der alte Field als teuflischer erachtet hätte: eine Hexe oder ein papistisches Kreuz.
    »Der Teufel verleiht ihr Macht«, sagte er in einem Tonfall, als würde er den Preis von Rüben diskutieren. »Bitte, entschuldigt mich, Master Herault. Ich werde meinen Sohn jetzt zum Pastor bringen. Hoffentlich hat sie ihn nicht verhext, sodass er seine Männlichkeit verliert.«
    Ich vermutete, dass Ned Field schlimmstenfalls den Inhalt seiner Blase verloren hatte; aber ich bezweifelte, dass sein Vater eine dahingehende Bemerkung als tröstlich empfinden würde. So verneigte ich mich nur stumm und ging.
    Fledermäuse sind wahrhaft lästig. Man nennt sie nicht umsonst ›Teufelsvögel‹. Dies zusammen mit der Tatsache, dass er mit diesen Legenden aufgewachsen war, ließen mich glauben, dass Ned Field tatsächlich seine Hexe gesehen hatte. Mein Herz hatte ebenfalls gepocht. Doch nun war der anfängliche Schreck vorbei, und ich wusste, was so unmenschlich an dem weißen Gesicht gewirkt hatte.
    Es hatte auf dem Kopf gestanden – glaubte ich. Ein Spiegelbild im Wasser vor uns. Und wie übernatürlich diese ›Hexe‹ auch sein mochte, sie war real genug gewesen, um Wellen im Wasser zu machen, als sie verschwunden war.
    Geister und Dämonen platschen nicht.
    Ich holte mir eine Laterne aus dem Stall, ohne von den Mühlenarbeitern oder Lanier gesehen zu werden, und betrat die Wookey-Höhle erneut gut eine Stunde, nachdem ich sie verlassen hatte. Ich spürte den Luftzug auf meinen Wangen. Die Fledermäuse konnten sicherlich dort oben heraus, durch Felskamine, die für Menschen nicht zugänglich waren.
    Die Kälte der Höhle drang durch meine Handschuhe, als ich die Laterne hob. Ich bemerkte, wie sich die Muskeln in meinem Rücken verspannten. So leise, wie ich konnte, zog ich das Schwert, bevor ich die große Kaverne betrat, blieb dann stehen und ließ die Stille wieder zurückkehren.
    Mein Blick nahm die Höhlenwand auf, die Felsspitzen und einen

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