1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
ausnahmslos jene sind, die in den Flammen am meisten beschädigt wurden – tatsächlich ist das sogar so auffallend, dass ich Absicht dahinter vermute. Irgendjemand hat versucht, jene Teile von Rocheforts Erzählung zu verbrennen, die mit seinem Sexualleben zu tun haben. Auch hat dieser Jemand versucht, nahezu alles zu vernichten, was Rochefort über die Vorhersagen des englischen Arztes und Theoretikers der Rosenkreuzer Robert Fludd geschrieben hat (der im Roman nur am Rande vorkommt). Über die Gründe dafür kann man nur spekulieren.
Nun denn, hier ist sie also: die neu entdeckte und neu übersetzte Geschichte, die eine Sprache und vier Jahrhunderte von uns entfernt ist. Die geretteten Memoiren, so vollständig übersetzt, wie es mir möglich ist – oder vielleicht sollte ich besser sagen: so adäquat, wie es die Zeit mir gestattet.
Und wo es notwendig erscheint – und so sie die Schriften Valentin Raoul Rocheforts erhellen – habe ich jene anderen Dokumente der Übersetzung hinzugefügt, welche mit den Memoiren in der Holzkiste gefunden worden sind.
Mit einem jener Dokumente möchte ich nun auch beginnen.
Teil Eins
Geheimes Tagebuch von Robert Fludd
27. Januar im Jahre unseres Herrn 1608 nach
julianischem Kalender (6. Februar 1609 nach gregorianischem Kalender,
der da kommen wird)
Die Arbeit geht gut voran. Der Ärger in Jülich-Kleve
droht noch dieses Jahr zu einem Krieg zu werden, vielleicht in
anderthalb Jahren. Der französische König hat keine Wahl in dem, was er
sagt und tut. Und sein Mann, Sully, mit seinem ›Großen Plan‹ … Was
weiß der schon von großen Plänen, ein französischer Herzog, der in den
Religionskriegen groß geworden ist und der zwar viel von Finanzen und
Gewalt versteht, doch nichts vom menschlichen Geist?
Sully baut die Kanäle. Wie unendlich traurig. Erbauer kämpfen stets gegen die
Zeit, die ihr Werk wieder hinwegfegt. Hier in London, zwei Straßen von
meinem Haus entfernt, steht die turmlose Kathedrale des heiligen
Paulus, alt und unveränderlich, und doch habe ich errechnet, dass sie
in nur einem Jahrhundert den Flammen zum Opfer fallen wird, und andere
Erbauer werden an ihrer Statt einen neuen Tempel errichten. Und auch
dieser Tempel wird ein halbes Jahrtausend später fallen –
vorausgesetzt, ich habe mich nicht geirrt.
28. Januar 1608 (7. Februar 1609 nach gregorianischem Kalender)
Vorausgesetzt, ich habe mich nicht geirrt. Welch ein
Mensch schreibt solche Worte, ohne einen Stich zu verspüren? Ich sehe,
wie die Partner zum Tanz zusammenkommen. Unserem König James liegt
Robert Cecil weiter sehr am Herzen – mehr noch als es bei Hof den
Anschein hat, obwohl ich Gerüchte höre, dass Cecil und der Schotte sich
ständig über Geld streiten; Cecil ist wie ein Weib, das seinem Herrn
und Gemahl widerspricht. Doch da sind sie nun, dort, wo ich gesagt
habe, dass sie sein würden – und als ich das gesagt habe, war
Cecil nur Burleys buckeliger Sohn, nicht der Erste Lord dieses
Königreiches.
Und die anderen, nehme ich an, kommen in Frankreich zusammen. Die
Frau, die Königin sein wird, und der katholische Magister, dessen Name
in die Geschichte eingehen wird, obwohl er diesen Ruhm genauso wenig
begehrt wie ich. Ohne Zweifel ist auch mein Spion nun in Paris,
schleicht durch die Schatten und dient Sully.
Ich zweifele nicht. Ich zweifele nicht. Wie könnte ich auch?
Der Mann, der Spion, kam vor sechs Jahren mit Sullys Gesandtschaft
nach London. Das war im Juni/Juli 1603, als ich selbst nicht in England
gewesen bin. Ich konnte meine Selbstzweifel nicht bezwingen. Hinterher
zog ich nach Paris an den Hof Seiner Majestät Heinrichs IV. um mir
Sullys Agenten anzusehen. Ein armer Gelehrter war ich damals, ein Leser
von Büchern, ein Schreiber von Büchern. Und dieser Mann war ein Mann
des Krieges – nun, er war nicht anders als die anderen Soldaten,
die zum Spion geworden sind. Ein großer Mann, einen Kopf größer als der
Rest von Sullys Schlägern, und mit dem dunklen Äußeren eines Spaniers,
auch wenn er in Wahrheit Franzose ist. Sein Gesicht war nicht leicht zu
deuten. Ich habe ihn nicht lange beobachtet: Soldaten verfügen über
einen Instinkt zu bemerken, wenn etwas über Neugierde hinausgeht. Ich
kehrte zu meiner Unterkunft im Louvre zurück, wanderte durch die
schlammigen Straßen, und in meinem Kopf drehte sich alles. Ist das der
Mann? Dieser wenig bemerkenswerte Mann? Ist er es?
29. Januar 1608 (8. Februar 1609 nach gregorianischem Kalender)
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