1634 - Strigen-Terror
Fenster geschlossen.
Mit schnellen Schritten durchquerte Maxine Wells das Zimmer und erreichte das Fenster. Es stand für sie fest, dass sie das Vogelmädchen nicht sehen würde, dennoch wollte sie nach draußen schauen und auch den Blick genießen, der selbst in der Dunkelheit prächtig war, denn sie schaute genau auf das königliche Stadtschloss, das wie eine kantige erleuchtete Insel inmitten der Stadt auf einer kleinen Erhöhung stand und nicht zu übersehen war.
Diesen Blick hatte sie schon einige Male genossen und war stets davon begeistert gewesen. Das hätte auch jetzt so sein müssen, aber es traf nicht zu.
Nichts hatte sich verändert, und doch hielt sich ihre Freude in Grenzen.
Der Grund war das leicht drückende Gefühl in ihrer Magengegend. Es war deshalb entstanden, weil Carlotta noch nicht zu Hause war und sie sich Sorgen machte.
Es brachte ihr zwar nichts ein, dennoch suchte sie den näheren Himmel ab, um irgendetwas zu entdecken, was natürlich Unsinn war und gar nicht logisch. Aber so dachte sie nun mal. Bei der Sorge um Carlotta setzte ihr rationales Denken aus.
Wieder der Blick auf die Uhr.
Die Zeit schien gerast zu sein, denn jetzt war es schon kurz nach Mitternacht, und das Vogelmädchen war noch immer nicht zurück.
Maxines Sorgen wuchsen. Ein dünner Schweißfilm lag plötzlich auf ihrer Oberlippe, obwohl es nicht besonders warm war. In ihr stieg die Hitze hoch, und man konnte sie auch als einen Ausdruck der Angst umschreiben.
Die Furcht war vorhanden, und sie mischte sich mit den Vorwürfen, die sich Maxine machte. Noch hatte sie keinen endgültigen Beweis für ihre Angst, und sie hoffte auch, ihn nicht zu bekommen. Mit jeder Minute, die verging, wuchs die Sorge um das Vogelmädchen an. Carlotta war eine Person, die ihre Versprechen einhielt, es sein denn…
Aber daran wollte sie nicht denken, obwohl sie diesen Gedanken nicht vertreiben konnte.
Nachdem sie das Vogelmädchen bei sich aufgenommen hatte, war ihr Leben ein anderes geworden. Und sie hatte durch ihren guten Freund John Sinclair erkennen müssen, dass manchmal Dinge geschahen, an die sie zuvor in ihrem normalen Dasein als Tierärztin niemals gedacht hätte.
Jetzt wusste die Frau, dass es Geheimnisse gab, die im Verborgenen lagen, die jedoch hin und wieder ihre Zone verließen und sich unter die Menschen mischten.
Zauber, Magie - beides oft zusammen mit einer pervertierten Wissenschaft, das hatte sie kennengelernt und war mehr als einmal zusammen mit Carlotta davon betroffen worden, sodass sie sich schon wie von den anderen Mächten verfolgt fühlte.
Als würden sie und ihr Schützling das Unheimliche einfach anziehen wie ein Magnet das Eisen.
Wo blieb das Vogelmädchen?
Sie sah Carlotta nicht, obwohl sie sich weit aus dem Fenster gebeugt hatte. Mal sah sie nach links, dann wieder nach rechts, aber es war keine Bewegung in der dunklen Luft zu erkennen.
Nur Stimmen hörte sie, die zu ihr hoch klangen. Vor dem Hotel standen einige Gäste, unterhielten sich lautstark und lachten hin und wieder.
Lachen konnte sie nicht. Das würde sie erst wieder können, wenn Carlotta gesund und unversehrt bei ihr war. Schon jetzt machte sich Maxine Gedanken darüber, was sie unternehmen sollte, wenn ihr Schützling nicht zurückkehrte.
Zur Polizei gehen und dort versuchen, alles zu erklären?
Nein, das war nicht möglich. Da würde man sie für verrückt halten. Das hätte sie vor der Bekanntschaft mit Carlotta auch getan.
Ins Bett gehen würde sie nicht. Sie wollte so lange aufbleiben, bis etwas passierte. Egal, was. Allerdings gab sie sich gegenüber auch zu, dass sie ein wenig überdreht reagierte. Das war eben so. Man konnte Carlotta nicht wie einen normalen Menschen behandeln, denn das war sie nicht.
Sie war nun mal eine Ausnahmeerscheinung.
Maxine Wells ging zum Kühlschrank der MiniBar und holte eine Flasche Mineralwasser hervor. Ihre Kehle war trocken geworden. Dagegen musste sie etwas unternehmen.
Immer wieder einen Schluck aus der Flasche nehmend, ging sie durch das Zimmer und näherte sich wieder dem offenen Fenster. Erst dort setzte sie die Flasche ab, schaute wieder nach draußen - und zuckte zusammen, als sie etwas schräg vor sich die Bewegung in der Dunkelheit bemerkte.
Das war nicht normal. Das war auch kein Vogel, der da langsam nach unten sank. Für einen Vogel wäre er zu groß gewesen. Maxine wusste, um wen es sich handelte.
Carlotta kehrte zurück. Aber sie bewegte sich nicht normal, wie es sonst der Fall
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