164 - Der vielarmige Tod
den windschiefen Hütten der Deeliten, hatte sich allerhand Volk versammelt: Niemand hatte je einen Ballon gesehen, geschweige denn vom Himmel herabsteigende Männer, die nach dem Weg fragten.
Ihre Ankunft war eine Sensation: Die Leute klatschten in die Hände und jubelten. Manch einer lud die Flieger zum Abendessen ein, was sie aufgrund des knappen Zeitplans höflich ablehnten. Schließlich fanden sie einen Mann, der ihnen für den Preis einer Münze die Adresse des Waffenhändlers nannte.
Omars Haus war das Kellergeschoss eines ehemals siebzig Etagen hohen Wolkenkratzers. Der Zahn der Zeit hatte ihn angenagt und einstürzen lassen. Der riesige Hügel, der sich rings um die Lichtung türmte, bestand aus dem Bauschutt des Hauses. Inzwischen war er von Erde bedeckt und mit Gestrüpp und Bäumen bewachsen.
Die Kelleretagen waren noch gut in Schuss, und wenn man keine großen Ansprüche stellte, konnte man hier durchaus besser leben als an der von Blut saugenden Stechmücken bevölkerten Oberwelt.
Kapitän Pofski folgte Karan Khan mit der Flinte im Vorhalt in das Haus hinein. Es ging eine Treppe hinunter, dann an zahllosen Türen vorbei, hinter denen gehämmert, geklopft, gesägt und gebohrt wurde. An einem Portal wurden sie von zwei grimmigen, bärtigen, grau gewandeten Männern mit Turbanen und Säbeln aufgehalten, die sich in einem einheimischen Dialekt nach ihrem Begehr erkundigten.
Karan Khan antwortete ihnen. Daraufhin machten die Wachen eine seit Jahrtausenden auf der ganzen Erde bekannte Handbewegung.
»Sie wollen wissen, ob wir überhaupt bezahlen können.«
Karan öffnete seine Jacke mit einer lässigen Handbewegung und entnahm der Innentasche einen kleinen Beutel. Diesen Beutel hob er hoch und versetzte ihn so in Bewegung, dass der Inhalt leise klimperte.
Die Wachen traten beiseite. Einer öffnete das Portal.
Karan Khan deutete eine Verbeugung an und gab Kapitän Pofski mit einer Handbewegung zu verstehen, er möge ihm folgen. Sie traten gemeinsam über die Schwelle; das Portal knallte hinter ihnen ins Schloss, und sie blieben stehen und schauten sich um.
Der Raum war riesengroß. Hätte Pofski gewusst, was ein Fußballplatz ist, hätte er die Ausmaße eines solchen sicher als Vergleich herangezogen. Der Raum war nicht nur staubig, sondern auch finster, denn nur da und dort blakte eine Öllaterne an der Wand.
Tausend hölzerne und eiserne Kisten bedeckten den Boden.
Manche waren mit Schriftzeichen bedeckt, die ihren Inhalt beschrieben. Kyrillische Buchstaben sah Kapitän Pofski im Moment nirgendwo.
»Kann ich euch helfen, edle Herren?«, fragte eine schleimige Stimme. Der Waffenhändler trat zwischen zwei Regalreihen hervor. Omar war klein und hager, aber nicht so klein und hager wie Kapitän Pofski. Er hatte eine Hakennase und einen Spitzbart und war in ein weißes, bodenlanges Gewand gekleidet. Ein zusammen gedrehtes rotes Tuch war um seinen Kopf gewickelt.
»Wir… ähm… wollen Waffen kaufen«, sagte Pofski. Erst dann fiel ihm auf, dass Omar sich nicht der Zunge der Induus, sondern jener der Wandernden Völker bedient hatte.
»Für welchen Zweck?«
»Das geht dich…«
»Angriffswaffen«, sagte Karan Khan rasch, bevor Pofski die Verhandlungen beenden konnte, noch bevor sie begonnen hatten. »Unser Gegner ist uns zahlenmäßig weit überlegen.«
»In welchem Verhältnis?« Omar beäugte den Russen mit einem argwöhnischen Blick. Offenbar war er nicht dumm und wusste, wie Pofskis Satz hätte enden sollen.
»Keine Ahnung. Eins zu hundert?« Karan Khan zuckte die Achseln. »Vielleicht auch eins zu zweihundert.«
Omar machte große Augen. »Da könnt ihr nur auf das Überraschungsmoment setzen. Ihr braucht Explosivwaffen. Zum Glück habe ich welche da. Erstklassige Ware aus Dalliwaan-Beständen.« Er schaute Pofski und Karan Khan an.
»Könnt ihr euch das überhaupt leisten?«
»Was bedeutet Dalliwaan?«, fragte Kapitän Pofski. Das Wort klang irgendwie sehr alt in seinen Ohren. War es überhaupt ein induuitisches Wort?
»Wir haben keine Wahl«, sagte Karan Khan zu Omar. »Und außerdem drängt die Zeit.«
Kapitän Pofski hielt es zwar für kaufmännisch unklug, einer Kreatur wie Omar zu sagen, dass sie unter Druck standen, aber sein Begleiter zahlte ja die Rechnung. Und Explosivwaffen…
Nun ja, Pofski musste es sich eingestehen: Sie waren heutzutage so selten wie weiße Efranten. Natürlich hatte er schon Explosionen miterlebt und wusste um ihre demoralisierende und zerstörerische
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