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164 - Der vielarmige Tod

164 - Der vielarmige Tod

Titel: 164 - Der vielarmige Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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vorbeiführen müssen, denn die schneebedeckten nördlichen Erhebungen waren sein Ziel gewesen. Doch nun hatte das struppige Biest sie gesehen und änderte seine Flugrichtung.
    Kapitän Pofskis Magen machte einen Hüpfer. »Karan Khan, hoch mit dir«, sagte er, als seine Rechte schon nach dem Schießeisen griff, »Wie? Was?« Karan hatte hinter dem kleinen Ofen genächtigt. Nun sprang er schlaftrunken auf und warf einen Blick auf den mondbeschienenen Dschungel, in dessen Mitte sich ein Strom silbern glänzend nach Süden wälzte. Der Strom hieß Ganges, aber das wusste kaum noch jemand.
    Der Russe deutete auf den anfliegenden Feind. »Ein Vultuur«, tat er kund. »Wenn er den Ballon zerfetzt, ist unsere Reise hier zu Ende!«
    »O verdammt«, entfuhr es Karan.
    »Du sagst es, Freund.«
    Der Vultuur umkreiste jetzt den Korb, riss seinen rosafarbenen Schnabel auf und kreischte.
    »Job tvojo math, sukin sin!«, schrie Pofski in seiner Muttersprache zurück.
    Es war kaum anzunehmen, dass der Vultuur die Schmähung verstand. Dass er in genau diesem Augenblick seine Fänge nach vorn reckte und sich mit schrillem Geschrei auf das Luftgefährt stürzte, war sicher nur ein Zufall.
    Kapitän Pofski riss das Gewehr hoch und legte auf das Federvieh an.
    Bei diesen schlechten Lichtverhältnissen, dem schwankenden Korb und der Geschwindigkeit des Vogels war es sicher keine Schande, dass der Schuss fehlging. Trotzdem – ihr Schicksal war damit besiegelt, denn zum Nachladen würde die Zeit nicht mehr ausreichen.
    Schon schossen Hals und Krallen des Vogels nach vorn, um die Ballonhülle zu zerfetzen.
    Im gleichen Moment hörte Pofski ein saftiges Klatschen, gefolgt von einem schmerzerfüllten »Krahhh!«
    Als er die Augen aufriss, die er in Erwartung der Katastrophe geschlossen hatte, stand Karan neben ihm – und ein Wurfmesser steckte bis zum Heft in der Brust des Vultuurs.
    »Stirb, Mistvieh«, knirschte der Induu.
    »Boshe moj«, keuchte Kapitän Pofski verdutzt, als der Aasfresser kreischend in die Tiefe stürzte. »Das war knapp…«
    Karan Khan schaute ihn mit glänzenden Augen an. »Ich hätte nicht gedacht, dass es solchen Spaß macht, sich mit Ungeheuern zu raufen.«
    Pofski sah das weniger abenteuerlustig. »Ich schlage vor, wir machen für den Rest der Nacht kein Auge zu«, sagte er und zitierte eine alte Lebensweisheit der Sibirjaken: »Wo ein Vogel ist, da können auch zwei sein.«
    Doch wider Erwarten ging der Nachtflug ohne Komplikationen weiter. Als die Finsternis langsam dem Grau der Vordämmerung wich, suchten Kapitän Pofski und Karan Khan den sich unter ihnen dahin schlängelnden Fluss nach Wasserfahrzeugen ab.
    Zu ihrem Bedauern bewegten sich mehr Schiffe nach Süden, als ihnen lieb war. Sie sahen Kähne, Kanus und Katamarane, aber auch Flöße, Dschunken und kleine Schiffe mit dampfenden Schornsteinen. Letztere waren Fähren, die zwischen den Dschungelstädten verkehrten. Viele kleine Boote wurden von Kaufleuten und Waldbauern gesteuert, die zu Märkten fuhren, um ihre Waren feilzubieten.
    An Bord der Fähren wimmelte es trotz der frühen Morgenstunden schon von zahlreichen Gestalten, was sich dadurch erklärte, dass den Leuten nach der Nacht auf den harten Planken der Rücken wehtat.
    Fast alle Reisende hatten Fracht dabei: Vögel mit schrillbuntem Gefieder, wiederkäuende Paarhufer oder Lebensmittel aller Couleur. Sogar einige mit Halseisen versehenen, meist weißen Sklaven britischer Abstammung, deren Vorfahren vor sieben Jahrhunderten in Induu tätig gewesen waren.
    In einem solchen Gewimmel konnte man natürlich nicht einmal mit einem Binocular jemanden Spezielles erkennen, und so gab der Russe das Fernrohr bald an seinen Gefährten weiter und nahm die Zubereitung des Frühstücks in Angriff.
    Wenn's hart auf hart kommt, würde ich nur ungern mit leerem Magen sterben…
    Eins war ihm klar: Sie würden Agra schneller erreichen als die Kaàliten und Aruula. Somit blieb ihnen vielleicht sogar genügend Zeit, einen Plan auszutüfteln, um die Menschenräuber um ihre Beute zu bringen…
    ***
    Aruula hatte keine Ahnung, wie der Fluss hieß, auf den ihre Entführer in der Nacht abgebogen waren. Ihr fiel allerdings auf, dass auf der schmalen Wasserstraße nicht der geringste Verkehr herrschte.
    Sogar die Urwaldtiere, die nachts ständig Höllenlärm machten, verfielen in ein furchtsames Schweigen, wenn der Steuermann das Boot aus der Flussmitte lenkte. Dies geschah oft, denn auf dem namenlosen Fluss trieben

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