1647 - Der letzte Schlag
Die Heychryker - sie selbst nannten sich Amarni - waren in die Primitivität zurückgesunken, hatten dann jedoch aus eigener Kraft eine neue Zivilisation entwickelt und schließlich den Anschluß an die arkonidische Völkerfamilie wiedergefunden. Während der Isolation war es unter den Nachfahren der Kolonisten zu Mutationen gekommen. Amarni waren dunkel, fast schwarzhäutig und besaßen dichten, gekräuselten Haarwuchs, dessen Farbspektrum von Lichtblau über Indigo bis zu sattem Anthrazit reichte. Sie waren im allgemeinen stämmig gebaut und im Durchschnitt nicht größer als 170 Zentimeter. Man sagte ihnen enorme Körperkräfte und beachtliche Ausdauer im ertragen physischer Strapazen nach.
Nadu Imeiri befand sich seit einem Jahr auf Jimmerin. Sie gehörte seit geraumer Zeit der Gruppe arkonidischer Forscher für Innovation und Fortschritt an. Yart Fulgen, der Leiter des Antiterror-Kommandos innerhalb der GAFIF, hatte Nadu auf Arkon kennengelernt und sie eingeladen, nach Abschluß ihrer Ausbildung dem ATK beizutreten. Dieser Aufforderung war die Amarnu gerne gefolgt. Sie besaß den akademischen Rang eines Wissenschaftlers zweiten Grades. Ihre Fachgebiete waren Hyperortungstechnik und Strukturtheorie des Hyperraums.
Wenige Tage, bevor die Hyperraum-Parese sich ein zweites Mal bemerkbar machte - diesmal innerhalb eines kugelförmigen Bereichs von 5000 Lichtjahren Durchmesser mit dem Sternhaufen M13 als Mittelpunkt -, war Nadu auf Jimmerin eingetroffen. Sie hatte in verschiedenen Abteilungen Dienst getan, um den Betrieb im ATK-Stützpunkt aus allen Blickwinkeln kennenzulernen. Seit knapp zwei Wochen gehörte sie zu Barro Nurtians engerem Stab, und seitdem hatte Barro keine ruhige Stunde mehr erlebt.
Jetzt erst traute er sich, zu Nadu aufzusehen. Nadus Gesicht entsprach keineswegs dem arkonidischen Schönheitsideal: Es war kreisrund. Die Wangen waren kräftig ausgebildet. Die großen, braunen Augen standen ziemlich weit auseinander.
Volle Lippen rahmten einen Mund von ungewöhnlicher Breite.
Barro Nurtian hatte sein Leben lang kein aufregenderes Gesicht gesehen. Das mochte damit zusammenhängen, daß ein Mann in seiner Funktion oft gezwungen war, mehr oder weniger zölibatär zu leben. Auf jeden Fall legte, jedesmal wenn er Nadu sah, sein Puls ein paar Schläge zu, und die Handflächen wurden ihm feucht. Auch jetzt wieder fragte er sich - zum tausendstenmal -, wann er endlich den Mut finden würde, Nadu einfach in die Arme zu nehmen und ihr zu beichten, daß er in seinem Leben noch niemals eine Frau so sehr begehrt hatte wie sie. „Der Sender ist eingerichtet", sagte er. „Wenn es die Parese nicht gäbe, könnte ich jetzt Verbindung mit Ariga aufnehmen."
Spott leuchtete in ihren Augen. „Warum versuchst du es nicht wenigstens?" fragte sie. „Du hast schon so viel Zeit verschwendet. Auf die letzte Schaltung kommt es nun auch nicht mehr an."
Er machte eine Geste, die Gleichgültigkeit zum Ausdruck bringen sollte. Dann drückte er die breite Fläche des Daumes auf die Kontaktleiste, die in mattem Grün leuchtete. Ohne Hyperraum-Parese wäre der Sender jetzt in Tätigkeit getreten.
Er hätte die ersten Signale an den Empfänger geschickt und diesen darauf vorbereitet, daß eine wichtige Nachricht auf ihn zukam. Er hätte ...
Wäre die Hyperraum-Parese nicht gewesen...?
Was war das? Über der Konsole baute sich ein Videofeld auf. Ein Symbol erschien: der rotschnabelige Rabe mit den goldenen Knopfaugen, das Erkennungszeichen der Kommunikationszentrale Ariga. „Kom-Zentrum. Ariga", sagte eine freundliche Stimme in bestem Arkonidisch. „Der Anrufer wird gebeten, sich zu identifizieren."
Barro Nurtian sank tief in seinen Sessel. „Bei allen Göttern von Arkon!" ächzte er. „Das gibt es nicht!
Die Tote Zone hat sich aufgelöst!"
Die Ruhe ging ihm auf die Nerven.
Das lag daran, daß es nicht wirklich Ruhe war, sondern erzwungene Untätigkeit. Seit einem Jahr, seit August 1200 NGZ, saß er auf Arkon gefangen, zur Tatenlosigkeit verurteilt durch ein Phänomen, das irgendein schlauer Wissenschaftler auf den Namen Hyperraum-Parese getauft hatte. Seit einem Jahr war er mit der Welt außer. halb der Toten Zone nur durch den gelegentlichen Botengang eines Ennox verbunden. Aber auch die Ennox hatten sich in letzter Zeit rar gemacht. Kaum daß pro Woche noch wenigstens einer von ihnen auftauchte.
Informationsentzug war eine Tortur ganz besonderer Art. Der Arkonide war an Härten gewöhnt, steckte
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