Das Lachen und der Tod (German Edition)
1
Es war mir oft aufgefallen, wie hässlich Menschen werden, wenn sie lauthals lachen. Ich sah die verzerrten Grimassen, den weit aufgerissenen Mund, das vibrierende Gaumenzäpfchen. Ich hörte die harten Kehllaute, die salvenartig hervorgestoßen wurden, als würden sie erbrochen. Wahrscheinlich, weil sie die Kontrolle verlieren, und dann werden Menschen schnell hässlich.
Ich stand auf der Bühne und sah über ein samtrotes Meer hinweg – alle Plätze waren noch frei. Ich mochte diese jungfräuliche und zugleich schwangere Stille. Schon bald würde der Saal bis in den zweiten Rang hinauf gefüllt sein. Monatelang hatte ich mich auf diesen Abend gefreut, auf den Abend des 11. Januar 1946. Auch wenn ich nicht wusste, was das Publikum von mir erwarten durfte.
Sie waren mein zweites Zuhause: diese heiligen Hallen mit der Gewölbedecke und den prunkvollen Kronleuchtern, wo Engel wohlwollend auf die Menschen hinuntersahen. Hier hatte ich meinen ersten großen Auftritt gehabt, an einem kühlen Februartag 1933, wenige Tage nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Ernst Hoffmann – mein Name stand in großen Lettern an der Fassade. Es war ein unvergesslicher Abend. Ich hatte ein paar Kracher auf Lager, die die Bude zum Kochen brachten. Damals genoss ich das. Es muss lauthals gelacht werden. Dann kurz warten, bis die Lachsalve ihren Höhepunkt erreicht, und peng! den nächsten Witz hinterherschicken.
Ich presste den roten, kratzigen Theatervorhang an mein Gesicht und sog seinen Duft ein. Er roch muffig. Salzig. Ganz so, als hätte der Stoff den Angstschweiß der Künstler Jahr für Jahr in sich aufgesogen. Aus irgendeinem Grund beruhigte mich das. Ich ging nach vorn und hörte das Knarren der Dielen. Ich holte tief Luft und sang leise:
Ich hab es bei Tag den Blumen erzählt
Ich liebe dich …
Ich hab es bei Nacht den Sternen erzählt
Ich liebe dich …
Ich singe es hinaus in die Welt
Dass eine mir nur noch gefällt
Das bist du, das bist du
Nur du …
Da stand ich nun mit ausgebreiteten Armen und Händen. Hinter mir hörte ich ein leises Klatschen.
»Bravo, bravo!«
Ich lächelte und ließ meine Arme sinken. Diese tiefe, raue Stimme erkannte ich sofort: Es war Henri Toussaint, der Bühnenmeister. Er stand am Rand, in der Kulisse. Aber wie lange schon? Hinkend betrat er die Bühne. Er hatte sich kein bisschen verändert, war immer noch derselbe kleine, resolu te Napoleon. Wir umarmten uns so unbeholfen, wie Männer das nun mal tun. Ich roch seine Pomade. Er musterte mich ernst und schluckte.
»Willkommen daheim.«
Danach schwiegen wir, standen stumm nebeneinander. Von irgendwoher hörte ich ein Türenknallen. Henri war das Theater, gewissermaßen seine Seele – mehr noch als die Künstler. Die kamen und gingen. Kurz nach meinem Debüt hier war ich ihm zum ersten Mal begegnet. Er hatte mir kühl die Hand gegeben und war schweigend vor mir in den leeren Saal gegangen. Er zeigte auf feuchte Flecken an manchen Plätzen: Einige Zuschauer hatten sich vor Lachen in die Hosen gemacht. »Dafür sind Sie verantwortlich«, sagte er schroff. »Also wundern Sie sich nicht, wenn die Theaterleitung gerichtlich klären lässt, ob man Sie mit den Reinigungskosten belasten kann.«
Dabei hatte Henri keine Miene verzogen. War das sein Ernst oder nur eine Zugabe zu meiner eigenen Vorstellung? »Ich halte es für keine gute Idee, vor Gericht zu gehen«, sagte ich. »Solche Sitzungen erhöhen den Druck nur.« Reglos hatte er mich angesehen. Langsam wanderten seine Mundwinkel nach oben. Sein Lachen hallte durch den Saal. Seit jenem Wortwechsel verband uns eine Beziehung, die man fast schon als Freundschaft bezeichnen konnte.
Jetzt ließ Henri ein Husten hören. »Ich habe mich mit ein paar Leuten über Ihr Comeback unterhalten«, sagte er behutsam. »Alle sind begeistert, dass Sie wieder da sind. Aber jetzt auftreten … das dürfte nicht einfach werden.«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ein Lacher ist und bleibt ein Lacher. Im Lager musste ich die Menschen auch zum Lachen bringen.«
»Tatsächlich? Nun, wir haben es hier ebenfalls nicht leicht gehabt, wissen Sie. In Amsterdam herrschten Hunger und Kälte. Und es gab Tote! Aber gut, die Deutschen und die Lager … Man hört da so einiges. Für Sie wird der Krieg bestimmt kein Zuckerschlecken gewesen sein.«
Ich lächelte.
Mir wurde die Sternengarderobe zugewiesen. Vor der Tür war ein vierzackiger Stern ins Parkett eingelassen, eine Art Kompass wie auf alten
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