1670 - Der Psychonauten-Gott
Hansen hatte Ruhe bewahrt und noch eine gewisse Weile gewartet. Das Licht in diesem Raum kam ihr entgegen, es war nicht hell, auch nicht richtig dunkel, man konnte es durchaus als schattig bezeichnen, und darüber war sie froh. Sie hielt sich dicht an der Wand.
Die Menschen sah sie wie eine Schattenreihe. Sie erkannte auch die Wand, vor der Gerd Olsen stand und seine Rede hielt. Sie selbst wurde nicht gesehen, und so schob sie sich immer mehr voran, wobei sie auch an Harry Stahl und John Sinclair dachte, denn sie war davon ausgegangen, die beiden hier zu finden.
Das konnte sie sich jetzt abschminken. Doch ihr Selbstvertrauen war so weit angestiegen, dass sie den Kampf auch allein gegen diesen Therapeuten aufnehmen würde.
Plötzlich musste sie anhalten. Beinahe hätte sie es übersehen, weil sie zu stark auf sich selbst fixiert gewesen war, aber es stimmte. Jemand stand dicht an der Wand im Hintergrund und schien auf etwas zu warten oder zu lauern. Er gehörte nicht zu den Patienten der Klinik. Ein Blick reichte Dagmar, um den Leidensgenossen zu erkennen. Es war der Pfarrer, der Elmar Kogel hieß. Mit ihm war Dagmar eine Weile zusammen gewesen. Auch er war ein Psychonaut und hatte sich auf die Seite des Professors gestellt. So hatte er einen anderen Weg eingeschlagen als Dagmar.
Olsen redete noch immer. Er hatte die Zuhörer in seinen Bann gezogen. Auch Kogel gehörte dazu, denn er stand steif auf der Stelle. Sein Kopf war nach rechts gedreht. Er schrak heftig zusammen, als Dagmar ihm auf die Schulter klopfte. Danach drehte er sich sofort um.
Sofort legte Dagmar einen Finger auf ihre Lippen. Sie hoffte, dass der Mann die Botschaft verstand. Er öffnete zwar den Mund, aber aus seiner Kehle drang kein Laut.
»Alles klar?«, fragte Dagmar und lächelte breit.
Er nahm zweimal Anlauf, um eine Frage zu stellen. »Wo kommst du her?«
»Durch die Seitentür. Ich habe doch nichts verpassen wollen, verstehst du?«
»Das schon. Und was ist mit Olsen?«
»Was soll sein?«
»Er hat mir gesagt, dass man dir nicht trauen kann. Du gehörst zwar zu uns, aber du bist trotzdem anders und sogar gefährlich, denn du hast jemanden ins Haus geholt, der…«
Sie unterbrach ihn. »Ich, mein Freund, habe niemanden in das Haus geholt.«
»Aber die Männer…«
»Sind von allein gekommen, und es ist gut, dass sie hier sind. Dazu stehe ich.«
»Und was willst du hier?«
Dagmar grinste. »Gegenfrage. Was willst du hier?«
»Das weißt du genau. Ich möchte mehr über mich erfahren. Ja, das ist so. Du und ich, wir haben eine Vergangenheit, die man nicht ausschalten kann. Wir gehören zu den besonderen Menschen, das weißt auch du. Man kann es nicht einfach zur Seite schieben. Die Vergangenheit ist unsere Gegenwart und Zukunft. Wir sind die Sehenden, wir wissen bald Bescheid über eine Vergangenheit, die längst verschwunden ist mit all ihrem Wissen. Aber es kann zurückkehren und ich möchte daran teilhaben. Das ist alles. Ich bin ja entsprechend vorbereitet worden - und du bist es auch, Dagmar.«
»Ja, das bin ich.«
»Und weiter?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nichts weiter, ich nehme es hin, aber ich weiß, dass jedes Ding zwei Seiten hat. So ist es auch hier. Es gibt nicht nur eine positive Seite, die negative ist auch vorhanden, und ich denke, dass sie überwiegt. Schau dir Olsen an, er will Menschen in seinen Bann ziehen und…«
»Nur zu ihrem Besten!«, widersprach Kogel.
Dagmar hätte beinahe laut gelacht. Im letzten Augenblick hielt sie sich zurück. Sie wollte Olsen nicht stören, der noch immer seine Rede hielt, aber allmählich zum Ende kam, was auch Elmar Kogel merkte, denn er rieb seine Handflächen gegeneinander wie ein Mensch, der seine Freude kaum noch im Zaum halten kann.
»Gleich ist es so weit«, flüsterte er, »dann wird er ihnen die Augen öffnen.«
»Und dir auch?«
»Aber sicher.«
»Wie soll das gehen? Was hat er dir gesagt?«
Elmar Kogel sprach mit schneller Stimme. »Er zeigt uns allen den Psychonauten-Gott. Er ist derjenige, dem wir alles zu verdanken haben. Der aus den Tiefen der Zeit gekommen ist, um uns zu besuchen.«
So hatte auch Olsen gesprochen. Für Dagmar wurde es Zeit, sich darum zu kümmern, was vor dem großen Spiegel ablief. Auch Kogel hatte die gleiche Idee gehabt. Er schob sich ebenfalls vor. Allerdings nur so weit, bis er einen besseren Blickwinkel hatte und sah, was vor dem Spiegel geschah.
Ja, der Professor hatte sich verwandelt. Auf Olsens Stirn war deutlich das dritte
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