1680 - Gedanken des Grauens
ihn an. Erneut wunderte sie sich darüber, wie leicht er war. Die Knochen schienen kaum Gewicht zu haben, und das wiederum sorgte bei ihr für ein Lächeln. Nicht das Äußere war wichtig, es kam ganz allein darauf an, was in seinem Innern steckte.
Ihre Augen glänzten, als sie sich umdrehte, die Trophäe mit beiden Händen festhielt und damit auf die Tür zu ging. Sie war heilfroh, die stickige Kammer verlassen zu können, und spürte wenig später die Kühle des Treppenhauses. Ludwig war vor ihr gegangen. Ob er das Haus schon verlassen hatte, wusste sie nicht. Möglicherweise wartete er noch im Haus, um die beiden Männer zu erwischen. Es gab nicht nur den einen Weg, den sie nehmen konnte. Von einem Fluchtweg konnte man nicht direkt sprechen, aber irgendwie kam es der Wahrheit schon recht nahe. Eine Etage tiefer ging sie, blieb dort stehen und schaute über das Geländer nach unten. Zu sehen war nichts. Sie wusste trotzdem, dass sich Ludwig noch im Haus aufhielt, und zwar nicht sehr weit von ihr entfernt. Er musste auf dem folgenden Treppenabsatz sitzen und warten, denn sie hörte deutlich seine scharfen Atemgeräusche. Wenn er sie sah, würde er nur Fragen stellen und auch unsicher werden.. Das wollte sie auf keinen Fall. Er hatte seinen Job, sie machte den ihren. Die Treppe nach unten ließ sie außer Acht. Dafür huschte sie so leise wie möglich in den Flur und lief ihn bis zu seinem Ende durch. Dort gab es eine Wand, die sie aufhielt, aber es war auch eine Tür vorhanden, die nicht verschlossen war. Hinter ihr befand sich ein weiteres Treppenhaus. Nicht so breit wie das offizielle, aber recht gut zu begehen, auch wenn die Stuf en ziemlich steil waren.
Ab jetzt musste sie sich nicht mehr vorsehen, von anderen Personen gehört zu werden. Sie konnte normal gehen, was sie auch tat, und so ließ sie Stufe für Stufe hinter sich und erreichte wenig später die untere Ebene.
Dort blieb sie stehen. Sie hatte die Notbeleuchtung eingeschaltet und schaute sich in deren schwachen Schein um. Die Umgebung war ihr nicht unbekannt, ein paar Schritte entfernt gab es eine weitere Tür. Hinter ihr lag der Gang, in dem sich auch das Büro des Professors befand.
Es waren nur wenige Meter, dann stand sie vor der Tür. Den Schädel hatte sie unter ihren linken Arm geklemmt. Sie spürte genau, dass es einen Kontakt zwischen ihm und ihr gab. Das galt nicht nur für den körperlichen, sondern auch für den geistigen, denn er gab die Befehle.
Im Moment bewegte sie sich völlig normal. Wie jeder andere Mensch auch öffnete sie die Tür. Auf das Anklopfen hatte sie verzichtet, und als sie in den Raum hineinschaute, sah sie den Professor, aber er entdeckte sie nicht.
Der Mann stand vor einem Fenster, schaute hinaus und machte auf sie einen recht nachdenklichen Eindruck, was sie durchaus verstand.
Leise schloss sie die Tür.
Sanders hatte noch immer nichts gehört.
Sie ging in den großen Raum hinein, der Sanders' Welt war. Nach drei Schritten blieb sie stehen und räusperte sich.
Der Professor zuckte zusammen. Dann drehte er sich um - und hörte die Stimme der Frau.
»Hallo, Professor, hier bin ich…«
***
Menschen, die vom Blitz getroffen werden, konnten nicht anders aussehen als Gordon Sanders. Er sagte keinen Ton.
Sie tat nichts und wartete ab. Dabei sah sie, dass der Professor seinen Mund bewegte. Er klappte ihn auf, dann wieder zu, ohne etwas zu sagen.
»Was ist los, Professor?«
Sanders schnappte nach Luft. Es war ein Zeichen dafür, dass er sich wieder gefangen hatte.
»E - E - lisa«, stotterte er, »das ist nicht möglich. Das ist eine Halluzination. Sie - Sie - können es nicht wirklich sein. Das glaube ich nicht.«
»Ich bin es und nicht mein Geist.«
Er schluckte und nickte zugleich. Dann schaute er zu, was seine Mitarbeiterin tat. Sie hielt den Schädel auf ihren zusammengelegten Händen und streckte die Arme nun vor, als wollte sie ihn mit einem Geschenk beglücken.
Sanders reagierte prompt. Sein Blick wurde von Elisa abgelenkt. Mit kaum verständlicher Stimme flüsterte er: »Das - das - ist Ugaras Schädel, mein Gott.«
»Ja, Sie haben recht. Er ist es, und er befindet sich in meinem Besitz.«
»Wieso denn?«
»Fragen Sie doch nicht so dumm. Weil ich ihn mir geholt habe. Er gehört jetzt mir. Haben Sie das verstanden? Er ist mein und ich tue, was mir befohlen wird.«
Gordon Sanders nickte. »Ja, das weiß ich«, flüsterte er. »Da habe ich ja schon einiges erfahren. Sie sind zur Mörderin geworden.
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