169 - Der Weltenwanderer
nur Wurzelsaft des Korallenbaums, sondern auch ein Gift, das die Heilungsmeister der Ikairydree aus dem Stachelsekret einer großen Sharyllenart gewannen, die an den Küsten der beiden Südkontinente lebte.
Kaum hatte der silberschuppige Hydree die Mixtur getrunken, entglitt ihm auch schon die Amphore. Von jetzt auf gleich sank Leg'wanot in einen tiefen Schlaf. Im Traum verwuchsen seine Glieder und sein Scheitelkamm mit dem Geäst seines Korallenbaumes. Der Korallenbaum selbst begann zu wachsen, bis er schließlich verdorrte und abstarb. Im Traum sah Leg'wanot ein paar Samenkörner – in ihnen schlummerte das Leben seines Korallenbaumes. Und im Traum wusste Leg'wanot auf einmal, dass eines dieser Samenkörner nach Millionen und Abermillionen Umläufen aufbrechen würde, um zu keimen, auszuschlagen, zu wachsen und zu einem neuen Korallenbaumwald zu werden.
So kam der Tod zu Leg'wanot, dem Obersten der Ikairydree.
Und seine leer getrunkene Glasamphore schwebte durch die Krone nach unten, schlug auf dem einen oder anderen Ast auf, sank entlang des gewaltigen Stammes zum Meeresboden hinab und verschwand im Seegras zwischen dem Wurzelgeflecht des Wasserbaumriesen… wo sie dreieinhalb Milliarden Jahre später von einer Sonde der Menschen entdeckt werden und eine Expedition zum roten Planeten bewirken sollte…
***
In den zwei Wochen nach dem Massenfreitod der Ikairydree bekam Matthew Drax fast täglich Gelegenheit, die Schaltzentrale zu sehen: Die Fusionsmodulationsplattform, ihre Tastfelder mit den verschiedenen Segmenten, die Anzeigen auf der Sichtfeldmembran an der Kuppelwand darüber und den Steuerkristall. Der war im Grunde das eigentliche Justierungsinstrument der Zeitstrahlanlage. Man bediente ihn über bestimmte Segmente und Schaltintervalle der beiden Tastfelder und kontrollierte seine Einstellung anhand der mathematischen Zeichen auf dem Sichtfeld. Auch die Speicherung einer lokalen und zeitlichen Justierung wurde über die Tastfelder vorgenommen.
Immer wieder lag Drax seinem Wirt in den Ohren – oder besser: im Geist –, damit der ihm jedes Zeichen auf dem Sichtfeld und jeden Schritt des Justierungsvorgangs aufs Neue erklärte. Irgendwann hatte er es kapiert.
Zwei Tage nachdem Gilam'esh Zeuge geworden war, wie der Erste Schwarmmeister der Pioniere Gelb-grün-blau signalisiert hatte, schickten die Hydree einen Tunnelfeldwissenschaftler, zwei Mediziner und einen Bauingenieur – oder einen »Meister der Baukunst«, wie die Hydree diese Berufsgruppe nannten – durch das Tunnelfeld in die Zukunft der Erde. Sie waren mit den neuesten Evakuierungsplänen vertraut und sollten Ramyd'sams Pioniere auf den bevorstehenden Exodus der Hydree vom Mars vorbereiten und die notwendigen organisatorischen Maßnahmen koordinieren.
Fünf Lichter später begannen die Ditrydree Material durch das Tunnelfeld zu schicken: Nahrungsvorräte, Werkzeuge, technisches Gerät, medizinische Hilfsmittel, Waffen, Kleider, bionetische Quallenliegen, Notunterkünfte, und so weiter.
Jeden Tag ging eine festgelegte Anzahl von Containern durch den Zeitstrahl – achthundert, schätzte Matt. Diese Zahl war zuvor mit den Ärzten, dem Wissenschaftler und dem Ingenieur abgesprochen worden. Auf der Erde der Zukunft war man also darauf vorbereitet.
Am einundzwanzigsten Tag, nachdem Ramyd'sam das Signal gegeben hatte, wurden die ersten Kranken in das Tunnelfeld transportiert. Ein Ditrydree, der noch einigermaßen bei Kräften war, begleitete jeweils zwei kranke oder durch den Sauerstoffmangel stark geschwächte Ditrydree. In jeder Stunde gingen auf diese Weise dreihundertsechzig Hydree durch das Tunnelfeld. So begann die erste Evakuierungswelle.
Am zwölften Tag nach Beginn der Evakuierung hatten jene Ditrydree, deren Gesundheitszustand am bedrohlichsten war, den Mars verlassen; etwas mehr als hunderttausend. Noch einmal reiste Gilam'eshs Geist in die Zukunft, um sich davon zu überzeugen, dass die Pioniere dort alles im Griff hatten. Das war offensichtlich der Fall, und so ging der Exodus der Hydree in die heiße Phase.
Etwa achthunderttausend Ditrydree, die sich mittlerweile im Meer um die Tunnelfeldanlage herum eingefunden hatten und in den Hängen des alten Vulkans sehnsüchtig auf das Zeichen zum Aufbruch warteten, standen wenig später Schlange vor den Eingängen zur Hauptgrotte.
Unter ihnen waren knapp neunzig Ikairydree, die sich nicht für den Freitod entschieden hatten. Weitere fünf bis sechs Millionen Ditrydree waren aus allen
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