169 - Die Drachenmenschen
drückte die Glut mit den Fingernägeln weg. Nicht, daß Coco befürchtet hätte, er könnte ihr untreu werden - die Zeiten, in denen sie sich gegenseitig jede Freiheit gelassen hatten, waren vorbei -, aber irgendwie schien ihn diese Frau zu faszinieren.
Eine dämonische Ausstrahlung ging zwar nicht von ihr aus, doch besaß sie ein besonderes Flair. Latente parapsychische oder magische Kräfte, vermutete Coco spontan.
Die Mulattin, mittelgroß, vielleicht Mitte zwanzig, verfügte über üppige Reize. Lächelnd entblößte sie zwei Reihen perlweißer Zähne. Die vollen, roten Lippen bewegten sich lautlos, schienen eine Aufforderung zu murmeln. Und die Geste, mit der sie ihr über die Schultern herabfallendes blauschwarzes Haar zurückstrich, überzeugte Coco endgültig.
„Eine deiner zahlreichen früheren Verehrerinnen?" fragte sie mit spöttischem Unterton.
„Unsinn!" erwiderte Dorian, eine Nuance zu schnell und zu heftig.
„Tut mir leid", sagte Coco deshalb. „Ich glaube dir nicht."
Die Mulattin hatte offenbar bemerkt, daß über sie gesprochen wurde, denn sie kam langsam näher. „Dorian Hunter", sagte sie unvermittelt. „Ich wußte, daß du kommen würdest."
„Gut, daß Sie schon da sind, Doktor." Andre Salvarez trat zur Seite, um den kahlköpfigen Mann mit der Nickelbrille und dem prachtvollen Schnauzer vorbei zu lassen.
„Falls jemand glaubt, sich mit mir einen Scherz erlauben zu können…", schnaubte Dr. Domingo, ohne Salvarez auch nur eines Blickes zu würdigen. Er wirkte aufgeregt und ungehalten. Kein Wunder bei dem Anruf, der ihn veranlaßt hatte, sofort alles stehen und liegen zu lassen und die Wohnung der Almerantes im Block Quadra 702 sul aufzusuchen. Ricardo Almerante war am frühen Morgen beigesetzt worden - er selbst, Vasco Domingo, hatte den Tod festgestellt. Die Diagnose lautete auf Vergiftung, vermutlich hervorgerufen durch Pilze. Was dadurch untermauert wurde, daß Almerante erst vor zwei Tagen aus dem Mato Grosso zurückgekehrt war.
„Hier entlang, Doktor." Jemand öffnete einen Perlenvorhang.
Vasco Domingo blieb wie angewurzelt stehen. Er blinzelte, rückte die Brille zurecht und räusperte sich verlegen. Er konnte nicht verhindern, daß ihm die Röte ins Gesicht schoß.
„Da staunen Sie, was?" erklang es hinter ihm.
„Aber…" Domingo machte einen zögernden Schritt vorwärts, dann noch einen. Das Gefühl, als würde man ihm die Beine unter dem Leib wegziehen, wurde schier übermächtig. Zudem umfing ihn gänzlich unerwartet die Welt afro-brasilianischer Kulte und Riten. Obwohl draußen heller Tag war, herrschte in dem Raum ein trübes, nur durch den Schein flackernder Kerzen erhelltes Dunkel. Fetische standen in besonderer Anordnung zueinander vor dem verhängten Fenster; ein kleiner Altar erstickte schier unter der Last der aufgetragenen Opferspeisen.
Ricardo Almerante hatte ein christliches Begräbnis bekommen - daß er wieder ins Leben zurückgekehrt war, schien seine Familie eher heidnischen Göttern zu danken. An der Wand über dem Bett hing jedenfalls ein Diagramm von Exu, dem Gott des Kreuzweges.
Domingo beugte sich über den Mann, der schlafend in einem Wust von Kissen lag. Unter den geschlossenen Lidern bewegten sich die Augäpfel hin und her. Er trug noch das Totenhemd, in dem er eingesargt worden war.
Der Arzt setzte sich auf den Bettrand und fühlte nach dem Puls des Patienten. Ricardo Almerantes Hand war ungewöhnlich kühl, sein Kreislauf mußte noch äußerst labil sein. Überraschend nur, daß er nicht schwitzte. Seine Haut fühlte sich rauh an wie Sandpapier, war aufgesprungen und rissig und schien zu großflächiger Schuppenbildung zu neigen.
Vasco Domingo rückte die Brille auf seiner Nase zurecht. „Ich brauche mehr Licht", bestimmte er. Der Patient zitterte leicht, seine Finger begannen sich zu verkrampfen. Er atmete heftiger, keuchend… Domingo bemerkte, daß die Nägel wie Krallen nach innen standen. Sie waren beinahe zwei Zentimeter lang.
„Zieht endlich den Vorhang zurück, verdammt!"
„Wenn Sie ihm helfen können, tun Sie es, Doktor, ansonsten…"
„Dieser ganze Hokuspokus behindert mich doch nur in der Ausübung meines Berufs", entgegnete Domingo ungewohnt heftig.
„Sind Sie in der Lage, Ricardo ins Bewußtsein zurückzurufen?" wollte Andre Salvarez wissen. Vasco Domingo zuckte mit den Schultern. „Er steht unter Schock. Hinzu kommt die Vergiftung, die ihn nach wie vor schwächt. Ich müßte ihn in die Klinik schaffen."
„Sie
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