169 - Die Drachenmenschen
zusammengeholt. Ausgerechnet er, der durch einen dämonischen Pakt dem Tod zu entgehen geglaubt hatte und mit einem Teil seiner selbst zum Werwolf geworden war. Und das alles nur, weil jemand den Tod von Hunters dämonischem Halbbruder Jörg Eklund hatte rächen wollen.
„Sie agieren als Fremdenführerin, Miß Munoz?" schreckte Cocos Stimme den Dämonenkiller aus seinen Überlegungen auf. „Kennen Sie sich in Brasilia aus?"
„Warum nicht. Die Stadt ist beeindruckend, wenn man sie zum erstenmal sieht, doch nach spätestens zwei Tagen bietet sie kaum noch Neues."
Feodora Munoz führte sie zu einem der Busse, die im Pendelverkehr zwischen der Stadt und dem Flughafen eingesetzt waren, und wenig später stiegen sie im Busbahnhof aus, exakt im Schnittpunkt zwischen Tragflächen und Rumpf der Stadt.
„Die beiden Hotelbezirke liegen nur wenige hundert Meter westlich", erklärte die Mulattin. „Wer will, kann schon von hier aus ein Zimmer reservieren lassen."
Weder Dorian noch Coco antworteten auf die offensichtliche Anspielung. Während der kurzen Fahrt mit dem Bus hatte Feodora sich auf einige Erläuterungen über Brasilia beschränkt, ihre Bitte um Hilfe aber nicht konkretisiert. Sich eine halbwegs zutreffende Meinung über die dunkelhäutige Schönheit zu bilden, fiel Coco deshalb schwer. Ihr Gefühl sagte ihr allerdings, daß die Mulattin bewußt eine Art Verzögerungstaktik betrieb. Sie beschloß, auf der Hut zu bleiben.
„Am besten nehmen wir ein Taxi", schlug Feodora vor. „Allein der Boulevard zum Praca dos Tres Poderes, dem Platz der Drei Gewalten, ist fast sieben Kilometer lang."
Dorian wußte, daß die Mulattin von selbst auf ihre Probleme zu sprechen kommen würde - vielleicht hingen sie irgendwie miß dem zusammen, was sie ihnen zu zeigen gedachte. Seine Erinnerungen an Feodora waren durchaus angenehmer Natur, er besaß keinen Grund, ihr zu mißtrauen. Kaum hatten sie den Busbahnhof verlassen, winkte die Mulattin eines der gelben Taxis herbei, einen alten, klapprigen Passat. Obwohl der Fahrer beflissen die Vordertür aufstieß, nahmen sie zu dritt im Fond Platz. Feodora erklärte dem Mann, daß sie eine Stadtrundfahrt wollten, sein Eifer schien daraufhin keine Grenzen mehr zu kennen.
Die Wohnviertel Brasilias, die „Flügel" wurden von einer mehrspurigen Autostraße der Länge nach durchschnitten. Während die beiden Innenbahnen den Schnellverkehr aufnahmen, dienten die äußeren dem Zugang zu den Wohnblocks. Ein gut 200 Meter breiter Grünstreifen hielt Abgase und Verkehrslärm von den durchweg auf schweren Pfeilern ruhenden Wohnungen fern. Der eigentliche Wohnraum begann somit im ersten Stock, und keines der Häuser ragte höher auf als sechs bis acht Etagen. Jede Fassade besaß ihren eigenen Farbton, aber auch hier hatte die Luftverschmutzung im Lauf der Jahre die einstmals hübschen Effekte zunichte gemacht.
„Man hat versucht, Komplexe von 12 bis 20 Gebäuden zu einer Quadra zusammenzufassen, einer sogenannten Nachbarschaft", erläuterte Feodora. Sie sprach Englisch. Als sie dem Fahrer eine einfache Frage stellte und er nicht reagierte, konnten sie sicher sein, daß er diese Sprache nicht verstand. „Wir sind also ungestört", stellte die Mulattin fest und fuhr fort: „Jede Quadra verfügt über eine eigene Schule, Geschäfte und alles, was man eben zum Leben braucht. Die Stadt wurde für Autofahrer gebaut, nicht für Fußgänger. Ihr werdet sehen, daß es kaum Verkehrszeichen gibt und schon gar keine gefährlichen Kreuzungen. Vielmehr wurde in verschiedenen Ebenen geplant. Böse
Zungen
nennen Brasilia ohnehin
a cidade dos eternos desencontros,
also eine Stadt, in der man seine Mitmenschen unmöglich antreffen kann."
Mit mäßigem Tempo fuhr das Taxi die Eixo Monumental entlang in Richtung Paranoa-See. Mit ihren 250 Meter Breite und mehr Grünstreifen als Fahrbahn, galt die Monumental-Achse zugleich als breiteste Straße der Welt. „Sie hat einiges an Sehenswürdigkeiten zu bieten", sagte Feodora nicht ohne patriotischen Stolz. „Stünde mehr Zeit zur Verfügung, hätte ich vorgeschlagen, den hinter uns liegenden Fernsehturm zu besuchen. Aus der Höhe bietet sich Tag und Nacht ein eindrucksvoller Rundblick. - Das da", sie deutete nach links aus dem Fenster, „ist das Nationaltheater."
Dorian verglich den weißen, riesigen Bau mit einer der flachen aztekischen Pyramiden.
Im Anschluß daran, auf der anderen Straßenseite, spreizten sich die gebogenen Betonpfeiler der Kathedrale in
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