1384 - Die Blut-Ruine
Sie war vorhanden. Ich erlebte keine Halluzination. Sie stand am Tisch und hatte beide Hände auf die Platte gelegt. Es konnte auch sein, dass sie hindurchreichten und mit dem Holz verschmolzen, so genau sah ich das nicht. Es war im Moment auch nicht wichtig, denn für mich zählte einzig und allein die Frau.
Sie bewegte sich nicht. Sie war ein blasses Denkmal vom Gesicht her, aber sie erinnerte mich auch an eine Person, die sich in einer Trauerphase befand, denn sie trug ein langes schwarzes Kleid zu ihren rabenschwarzen Haaren, und auf dem Kopf sah ich eine Mütze oder Haube, die an den Seiten zu zwei Schleiern auslief. Es gab bei der Kleidung ausschließlich dieses Schwarz, wobei der Schleier nicht die gleiche Dichte zeigte wie das Kleid.
Dass die Schuhe ebenfalls schwarz waren, verstand sich fast von selbst, und es war auch nicht mehr wichtig für mich, weil ich mich jetzt um das Gesicht kümmerte.
Es war ein junges, ein durchaus ansehnliches Gesicht, auf dessen Haut ich nicht eine Falte sah. Ein kleiner Mund, der halb offen stand und dessen Lippen von eben dem Blut umgeben waren, als hätte sie sich vor kurzem verletzt.
Nur traf das wohl nicht zu, der Grund war ein anderer, den ich erkannte, als die Lippen zuerst zuckten und sich der Mund dann weiter öffnete. Sie zog auch die Oberlippe zurück, und plötzlich sah ich das, was auch mich überraschte.
Zwei spitze Zähne!
Ihr erster Anblick hatte mich wie ein Schock getroffen, der zweite nicht mehr, denn ich hatte oft genug einem Vampir gegenübergestanden, egal, ob weiblich oder männlich.
Aber diese Person war ohne Zweifel ein weiblicher Vampir, und ich bemerkte jetzt die Reaktion meines Kreuzes.
Ein kurzer Wärmestoß, das war alles, aber es hatte gereicht.
Die mir unbekannte Frau stand da, ohne etwas zu tun. Sie wartete, und ihre große Augen verrieten nur ein Staunen. Als wäre alles neu für sie.
Eigentlich sah sie harmlos aus. Daran glaubte ich nicht. Ich glaubte auch nicht daran, dass sie sich ein künstliches Gebiss eingesetzt hatte, sonst hätte sich mein Kreuz nicht gemeldet, aber ich tat auch nichts, denn sie war zu mir gekommen, und ich musste davon ausgehen, dass auch sie etwas von mir wollte.
Je länger ich sie anschaute, um so mehr faszinierte sie mich. In der Regel verbreiten Vampire Furcht, aber sie war irgendwie anders.
Wenn ich das Blut und die Zähne mal vergaß, dann kam sie mir vor wie eine Person, die gekommen war, um etwas zu erbitten. Ja, so wirkte sie auf mich. Sie war jemand, der einen Grund für sein Kommen hatten, doch nicht in der Lage war, ihn so auszudrücken, dass ich ihn auch verstand.
Dass sie bisher nichts getan hatte, gefiel mir auch nicht. Sie schien sich nicht zu trauen, obwohl der Wille schon da war. Und deshalb entschloss ich mich, die Initiative zu ergreifen, und ich ging einen Schritt auf sie zu.
Ich legte mein Kreuz nicht frei. Ich griff auch nicht zur Beretta, die ich noch am Körper trug, weil ich erst vor kurzem aus der Dienststelle gekommen war. Ich wollte versuchen, sie mit den bloßen Händen anzufassen, und war gespannt, ob sie das zuließ.
Dass sie mich angreifen konnte, um mein Blut zu trinken, war mir durchaus bewusst. Auf der anderen Seite war ich stark genug, um mich wehren zu können.
Den ersten Schritt legte ich zurück, ohne dass etwas mit ihr passierte. Das ging auch beim zweiten so, und ich schöpfte bereits Hoffnung. So wurde ich forscher.
»Wer bist du?«
Ich hatte nicht laut gesprochen, aber die Frage hatte sie durchaus verstehen können.
Leider gab sie mir keine Antwort, und so sprach ich sie noch mal an. »Wo kommst du her? Wie heißt du?«
Sie blieb stumm. Allerdings erkannte ich, dass sie anfing zu zittern. Sie bewegte auch ihren Mund, und Luft brauchte sie nicht zu holen, weil sie eben eine Blutsaugerin war, eine Untote, aber das Zittern bewies mir, dass auch sie unter Druck stand.
»Hast du keinen Namen?«
Die Unbekannte hob ihren rechten Arm. Es war überhaupt die erste Bewegung, die ich bei ihr wahrnahm. Und die war so etwas wie ein Anfang, denn nun ging sie auch einen Schritt nach hinten.
Das war nicht weiter tragisch, doch ich sah dann etwas ganz anderes, das mich überraschte. Dieser letzte Schritt brachte sie in genau die Position, die sie brauchte.
Vor meinen Augen dünnte sie plötzlich aus. Ich sah, wie das Kleid sich veränderte, wie die dunkle Farbe allmählich verschwand und nur mehr ein dünnes Netz aus Maschen übrig blieb.
Dann war sie plötzlich
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