1690 - Die Schwelle zum Jenseits
gab sich Romana Gitti nahezu seriös in ihrem schwarzen Kleid. Es hatte einen dreieckigen Ausschnitt, der gut gefüllt war. Um die Taille hatte Romana ein rotes Seidentuch geschlungen, das an der rechten Seite herabhing.
Ich sah manche Blicke, die uns trafen. Wer uns anschaute, der überlegte wohl, wer wir sein könnten, aber angesprochen wurden wir darauf nicht.
Wir ließen Romana in Ruhe, die immer wieder neue Gäste begrüßte. Die Party schien doch größer zu werden, als zuvor von der Gastgeberin geplant.
Ich hatte mich umgeschaut und vermisste die Tochter des Hauses. Marcia war noch nicht da. Sie wäre auch unter diesen Gästen sicherlich aufgefallen. Bestimmt würde sie noch kommen, und möglicherweise gab es ja auch eine offizielle Eröffnung der Feier.
Bill hatte sich mit dem gleichen Gedanken beschäftigt wie ich. »Siehst du Marcia?«
»Nein.«
»Dann können wir uns die Hand reichen.«
»Sie wird später erscheinen.«
Bill war davon nicht überzeugt. »Meinst du?«
»Warum nicht?«
»Na ja, sie war einige Tage weg und hat nicht eben in einem Himmelbett gelegen.«
»Stimmt. Ich bin der Ansicht, dass ihr das nicht so viel ausgemacht hat. Ich halte sie jedenfalls nicht für eine verschreckte junge Frau, die etwas aufzuarbeiten hat. Ich habe nicht vergessen, was ich unten in diesem Gemäuer sah.«
»Okay. Lassen wir es darauf ankommen.«
Wir schlenderten weiter und waren froh, nicht bei irgendeiner Gruppe stehen bleiben und uns unterhalten zu müssen. So konnten wir beobachten und unsere Schlüsse ziehen.
Und dann passierte doch das, was wir hatten vermeiden wollen. Romana war für einen Moment nicht beschäftigt. So konnte sie nach ihrem Glas greifen und es anheben, um es zu leeren. Dabei drehte sie sich zur Seite und entdeckte uns.
»He …« Ihre Augen weiteten sich. Sie stellte das Glas weg und lief auf uns zu. »Endlich seid ihr hier. Das ist eine Freude.« Sie strahlte uns an. »Ich würde sagen, dass ihr Ehrengäste seid, und ich möchte euch gern einigen Freunden vorstellen, die …«
Bill kannte Romana besser als ich und unterbrach sie. »Bitte, das ist nett, das ist wunderbar, aber wir möchten das nicht. Lass es einfach, wie es ist.«
»Aber warum?«
»Wir wollen kein Aufsehen. Wir genießen deine Party und auch die laue Luft. Das ist Italien pur.«
»Wenn du meinst, Bill.«
»Ja, ich meine es ehrlich.«
Jetzt mischte auch ich mich ein und fragte: »Wo steckt denn Ihre Tochter Marcia?«
»Oh.« Romana stellte sich auf die Zehenspitzen und setzte zu einem Rundblick an. »Ja, Sie haben recht. Sie ist noch nicht da.«
»Wird sie denn kommen?«
Romana nickte heftig. »Davon bin ich überzeugt.«
»Obwohl sie einige schlechte Tage hinter sich hat?«
»Keine Sorge, Signore Sinclair. Meine Tochter ist zäh. Die ist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie ich.«
»Dann muss man sich ja keine Sorgen machen.«
»Bestimmt nicht.«
So überzeugt wie Romana Gitti waren wir nicht. Die Frau drehte sich leicht zur Seite, um nach einem Glas Prosecco zu greifen, das auf einem Tablett vorbeischwebte.
In der Bewegung sah sie ihre Tochter. »Da ist sie ja!« Sie hob eine Hand an und winkte heftig. Dabei rief sie noch ihren Namen, sodass es jeder der Gäste mitbekam.
Auch wir schauten hin. Bill holte hörbar Luft. »Das ist ein Auftritt«, murmelte er. »Ich würde glatt sagen, das sieht aus wie einstudiert. Mal schauen, was noch passiert …«
***
Die riesige Glasfront, die Haus und Garten trennte, war zurückgefahren worden, sodass die Gäste freie Bahn hatten, wenn sie ins Haus wollten, wo später das Büffet aufgebaut werden sollte.
Zunächst aber gab es nichts zu essen. Dafür etwas zu schauen. Wie ihre Mutter hatte auch Marcia bei ihrem Outfit auf schlichte Eleganz gesetzt. Allerdings trug sie nicht das berühmte kleine Schwarze, sie hatte sich für ein lachsfarbenes entschieden, das die beiden Schultern freiließ.
Sie war aus dem Haus getreten und nur einen Schritt weit auf die Terrasse gegangen. Dort verharrte sie und schaute in den Garten. Sie wollte sehen, das stand fest, aber sie wollte sicher auch gesehen werden.
Einige Gäste klatschten, als sie erschien. Marcia lächelte, nickte in alle Richtungen und wusste, dass sie auf dieser Party so etwas wie die Prinzessin war.
Ihre Mutter hatte beim Gehen einen kleinen Bogen geschlagen und näherte sich ihr von der Seite. Auch sie stand jetzt im Rampenlicht. Sie küsste ihre Tochter auf beide Wangen und rief den Gästen zu, wie
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