1690 - Die Schwelle zum Jenseits
schickt mich. Ich soll fragen, wann Sie kommen wollen. Sie ist im Augenblick zu stark beschäftigt.«
»Kann ich mir denken.« Marcia lächelte Carlo zuckersüß an. »Aber komm doch rein und …«
»Nein, bitte, ich habe zu tun …«
»Nur für einen Moment. Ich möchte dir etwas zeigen.«
»Okay.«
Marcia frohlockte innerlich, als sie sah, dass Carlo die Schwelle überschritt. Er war für sie die ideale Testperson. Bei ihm konnte sie erforschen, ob die neue Kraft tatsächlich so stark war, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Carlo bewegte sich verlegen. Marcia kannte den Grund. Sie ging davon aus, dass er heimlich in sie verliebt war, und das konnte sie jetzt ausnutzen. Hinter ihm schloss sie die Tür und stellte sich vor Carlo hin, der seine Verlegenheit noch immer nicht so recht abgeschüttelt hatte und nicht wusste, wo er hinschauen sollte. Seine Hände hielt er auf dem Rücken, wo sich die Finger unruhig bewegten.
»Na, wie gefalle ich dir?«
Er musste schlucken. »Sehr gut, wirklich. Sie sehen toll aus. Besser als die anderen Gäste.«
»Das will ich auch hoffen«, erklärte sie. »Du bist doch richtig scharf auf mich – oder?«
Carlo schwieg.
»Du möchtest mich nackt sehen, stimmt’s?«
Er winkte mit beiden Händen ab. »Bitte, Signorina, ich will dazu nichts sagen. Außerdem muss ich wieder zurück zu den anderen. Ihre Mutter wartet auf mich.«
Marcia schüttelte den Kopf. »Bitte, Carlo, stell dich nicht an wie ein Mädchen. Sag einfach nur die Wahrheit. Du bist scharf auf mich, und du kannst mich haben.«
Er war völlig durcheinander und schüttelte den Kopf. Sein Gesicht war rot angelaufen. Die Situation war ihm mehr als peinlich und wurde für ihn noch peinlicher, als Marcia ihre Arme anhob und nach den dünnen Kleiderträgern fasste. Die schob sie im nächsten Moment über ihre Schultern. Das Kleid hatte keinen Halt mehr, und der dünne Stoff rutschte nach unten. An den Füßen faltete er sich zusammen. Auf einen BH hatte Marcia verzichtet, sie trug nur ein hauchdünnes Höschen aus lachsfarbener Spitze.
»Komm her«, flüsterte sie mit rauer Stimme. Sie kam sich selbst vor wie in einer mit Erotik aufgeladenen Schnulze, aber sie wusste auch, was immer gezogen hatte, und das würde sie auch in diesem Fall nicht im Stich lassen.
Carlo konnte nichts sagen und sich auch nicht bewegen. Er starrte nur auf die Brüste, unter die Marcia ihre beiden Hände legte. Dabei veränderte sich die Farbe ihrer Augen. Die Frau bekam so etwas wie einen harten und gnadenlosen Blick.
Dass sich Carlo noch immer nicht rührte, gefiel ihr nicht. Dagegen wollte sie etwas tun, und bevor er sich versah, stand sie dicht vor ihm. Sie löste die Hände von ihren Brüsten und streckte sie dem Mann entgegen, über dessen Stirn und Wangen Schweißperlen rannen.
Marcia umschlang Carlos Nacken. Die Farbe ihrer Pupillen hatte jetzt einen leicht bläulichen Schimmer angenommen, was der Leibwächter nicht bemerkte.
Und er hatte am Rücken ebenfalls keine Augen. So bekam er die Veränderung der Finger nicht mit, die zunächst leicht zuckten und sich plötzlich veränderten. Sie wuchsen an, hatten schon bald die doppelte Größe angenommen, und die Fingernägel waren gewachsen und bildeten scharfe Spitzen, die an die Enden schmaler Messer erinnerten.
Marcia bewegte die Finger über seinen Hals hinweg und zog sie wieder nach vorn, um in die Nähe der Kehle zu gelangen.
Das alles ließ er mit sich geschehen, ohne einen Verdacht zu haben, in welcher Gefahr er wirklich schwebte.
Marcia ließ nicht locker. Die Finger erreichten die Kehle, ihr Mund war leicht geöffnet. Sein Anblick lenkte den blondhaarigen Mann ab, der nicht ahnte, wie nahe er einem grausamen Schicksal war.
Dann drückten die Spitzen zu.
Nicht zu hart, aber wohl spürbar, sodass der Mann zusammenzuckte. Einen Atemzug später konnte er nur noch röcheln. Da waren nicht nur die Spitzen in seiner Kehle verschwunden, sondern auch ein Drittel der langen Finger.
Carlo wehrte sich nicht. Ein anderer Ausdruck erschien in seinen Blicken. Eine Mischung aus Erstaunen und Entsetzen.
Marcia zog die Finger zurück. Sie waren blutig. Tropfen fielen auf den hellen Steinboden, zerplatzten dort und hinterließen ein neues Muster.
Die Mörderin ging einen kleinen Schritt zurück und beobachtete, was mit Carlo geschah.
Sein Hals blutete an so vielen Stellen, dass es aussah, als wäre er nur eine einzige Wunde. Er starb. Im Stehen noch brach sein Blick. Dann fiel er nach
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