170 - Hüte den Speer - Magiure, Margo
brauchte sie ebenfalls, obgleich sein Zustand besser war als noch vor einer Woche. Keelin betete, dass er weiter gesundete und nicht erneut ernsthaft erkrankte, wenn sie fort war und sich nicht mehr um ihn kümmern konnte.
Sie wandte sich wieder ganz der Messe zu und dachte nicht länger an die Reise nach Kerry. Doch als sie in die Gebete mit einstimmte und sich erneut bewusst machte, dass dort vor den Trauernden ein toter Mann aufgebahrt war, musste sie abermals an ihren eigenen Vater denken. Und als sie den Kopf andächtig senkte, sprach sie einige Gebete für Eocaidh O’Shea – für den Menschen, an dessen Bestattung sie nicht hatte teilnehmen können.
Es ist schon vier Jahre her, rief Keelin sich in Erinnerung. Zeit genug, um den tiefen Schmerz zu lindern. Doch die Wunden waren nicht verheilt. Keelin spürte, wie die Trauer erneut in ihr aufstieg und sich ein stechender Schmerz in ihrer Brust bemerkbar machte, den sie an dem Tag gefühlt hatte, als Ruairc Mageean den ehrwürdigen Eocaidh erschlug.
Sie hatte nie Zeit gehabt, den Tod ihres Vaters zu betrauern. Tiarnan und die Ältesten des Clans hatten sich rasch zusammengefunden, um eine Entscheidung zu treffen. Schon Stunden nach Eocaidhs Tod waren Keelin und ihr Onkel in Windeseile zur Küste geritten, wo bereits ein Schiff auf sie gewartet hatte. Sie waren unverzüglich in See gestochen, und entlang der Südküste Irlands war die Reise nach Osten gegangen. Als sie schließlich Fuß auf englischen Boden gesetzt hatten, waren sie zunächst für Monate vor den Kriegern der Mageean sicher gewesen.
Keelin blinzelte und trocknete die Tränen, die kaum merklich über ihre Wangen geronnen waren.
Die Messe war vorüber. Der Bischof sprach ein abschließendes Gebet für den Verstorbenen, während der Burgkaplan behutsam das Weihrauchgefäß über dem Leichnam schwenkte. Ein aufdringlicher Geruch stieg in Keelins Nase, und als nun der Chor seinen feierlichen Gesang anstimmte und die Kapelle erfüllte, befiel sie ein heftiger Schauder.
Ritter von Wrexton hoben den Toten nun hoch und trugen ihn in den hinteren Bereich der Kapelle; die kirchlichen Würdenträger folgten gemessenen Schrittes. Marcus und der Marquis Kirkham gingen hinter dem Pater, und Keelin konnte von ihrem Platz aus sehen, dass Lady Isolda ihre Hand auf den Arm des jungen Grafen legte.
Keelin durfte sich angesichts dieser Berührung nicht aus der Ruhe bringen lassen. Sie kannte Marcus erst seit ein paar Tagen und nicht seit Jahren wie Isolda. Außerdem blieb sie nur vorübergehend in Wrexton Castle und würde aufbrechen, sobald es die Umstände erlaubten.
Immerhin gab es da einen zukünftigen Gemahl, der sie in ihrer Heimat erwartete. Der Kuss, den sie mit Marcus de Grant getauscht hatte, war nichts weiter als eine Verirrung gewesen, ein inniger Moment, der sie von der rauen Wirklichkeit des Lebens abgelenkt hatte. Die Bindung, die sie zwischen sich und dem Grafen verspürt hatte, schrieb sie nun ihrer Einbildungskraft zu.
Keelin schaute zu Boden, da sie nicht länger als nötig mit ansehen wollte, dass womöglich eine Zuneigung zwischen dem Grafen und Lady Coule bestand.
Es war bereits nach Mitternacht, und Marcus war froh, wenigstens einige Stunden geschlafen zu haben, als er von einem Bediensteten geweckt wurde. Nach den Tagen des beengten Zusammenlebens in Keelin O’Sheas kleiner Behausung wusste er sein geräumiges Gemach und das breite, bequeme Bett zu schätzen, auf dem er sich ganz ausstrecken konnte.
Rasch zog er sich an und eilte dann in Adams Kammer, um zu sehen, warum Lady Keelin ihn hatte wecken lassen. Als er eintrat, sah er, dass der Raum von zusätzlichen Kerzen hell erleuchtet wurde. Der Junge lag reglos auf dem Bauch, und Keelin stand neben seinem Bett. Sie hatte den Verband am Rücken abgenommen. Marcus zuckte zusammen, als er auf die Wunde blickte.
„Bei Gott und allen Heiligen“, flüsterte Keelin leise. Sie schien sehr besorgt zu sein. „Die Wunde eitert, Mylord. Ich brauche Eure Hilfe, um sie zu reinigen.“
Sie trug dasselbe tiefgrüne Gewand, in dem Marcus sie bei der Beerdigung seines Vaters gesehen hatte. An den Anblick ihres offenen Haars war er gewöhnt, und seine Hände brannten vor Verlangen, die seidige dunkle Pracht zu berühren.
Was ist nur in mich gefahren?, schalt er sich im Stillen. Er hatte gerade seinen Vater zu Grabe getragen, der junge Adam lag womöglich im Sterben – und er dachte an Keelin O’Sheas Haar! Marcus ballte die Hände zu Fäusten
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