170 - Logbuch der Hölle
wollte Pedro d'Alessandro wissen. „Ich kann meine Patienten nicht allzu lange im Stich lassen. Schließlich hat man gewisse Verpflichtungen, nicht wahr?"
Der Unterton seiner Sprache und das überlegen-männliche Lächeln dazu ließ Parker vermuten, daß sich Pedro für einen Frauenheld hielt, vermutlich aber keiner war. Und ein Möchtegern-Playboy war nicht gerade das, was Parker sich als Segelgefährten wünschte. Aber er konnte schlecht seinem Freund Jaime erklären, daß er seinen einzigen Sohn nicht dabeihaben wollte.
Vielleicht erwies sich der junge Mann an Bord auch ganz brauchbar. An äußeren Merkmalen ließ sich nur selten erkennen, ob jemand zur Seemannschaft taugte oder nicht.
„Nicht sehr lange", erwiderte Parker nach kurzem Nachdenken. „Zehn Tage höchstens, nehme ich an."
„Das läßt sich hören", antwortete Pedro. „Viel länger könnten es meine Patientinnen wohl nicht ohne mich aushalten."
Parker entging nicht, daß sich bei diesen Worten die Miene der Stewardeß verdunkelte. Ahnte sie, worauf sie sich einlassen wollte?
Parker gefiel das überhaupt nicht. Das Zusammenleben auf einer Jacht erforderte Rücksichtnahme; selbst die kleinsten Mißhelligkeiten konnten sich bei den beengten Raumverhältnissen zu Streitereien auswachsen, die nicht nur die Atmosphäre an Bord vergiften, sondern auch das Boot in Gefahr bringen konnten, wenn es kritisch wurde.
„Sind sie alle schon einmal gesegelt?" wollte Parker wissen.
Er stellte einige knappe Fragen. D'Alessandro und Linnero hatten bereits viel Erfahrung und auch schon zusammen einige Orkane abgeritten. Auf diese beiden würde Verlaß sein. D'Alessandros Sohn erwies sich als Schönwettersegler, der das väterliche Boot hauptsächlich als schwimmendes Schlafzimmer benutzt hatte. Die anderen Besatzungsmitglieder gaben sich zum Teil als sturmerprobt aus, aber nähere Erkundigungen nach den Verhältnissen brachte zutage, daß sie bereits von Sturm redeten, wenn erfahrene Segler von grober See sprachen. Wenig später erschienen die Fehlenden. Silvester Mondejo erwies sich als kleiner, quecksilbriger Mann, knapp vierzig Jahre alt, mit einem Knebelbart, der ihm ein eher komisches Aussehen verlieh. Eric Chalmers war Amerikaner - groß, muskulös, blond, sonnenverbrannt, blauäugig; er hätte jederzeit in einer TV-Serie einen Helden abgeben können. Allerdings frönte er dem Laster des Kaugummikauens, was seiner Sprache und seinem Aussehen beträchtlich schadete. Das stete Mahlen seiner Kiefer gab seinem Gesicht mitunter einen bemerkenswert schwachgeistigen Ausdruck.
Als letzter tauchte Paco Ortega auf, ein alter Mann mit weißen Haaren. Seine Kleidung verriet schon mit dem Geruch, daß er sich ständig in der Nähe des Meeres aufhielt. Als einziger der Crew unterzog er Parker und Unga einer kritischen Prüfung. Er betrachtete die beiden lediglich eindringlich, dann genügte ein knapper Blick, um das wechselseitige Verhältnis zu definieren.
„Das Boot ist klar zum Auslaufen, Senor d'Alessandro. Wenn wir uns beeilen, erwischen wir noch die richtige Tide."
Mit einer Handbewegung gab Jaime d'Alessandro das Zeichen zum Aufbruch.
Während die Menschen den Raum verließen, tauchten einige Dienstboten auf, um das Frühstücksgeschirr wegzuräumen. Parker blieb einen Augenblick lang auf der Schwelle stehen und betrachtete das kostbare Silbergeschirr und den prachtvollen Raum - und einen schmerzhaften Augenblick lang beschlich ihn die Ahnung, daß sich diese Frühstücksrunde niemals wieder zusammenfinden würde.
Die ESTRELLA DEL SUR war ein Schiff, das Parker auf den ersten Blick gefiel, rank und schlank, sehr sorgfältig gepflegt und in erstklassigem Zustand. Das Tauwerk bestand aus bestem Manila-Hanf; in diesen wie auch anderen Dingen war Jaime d'Alessandro offenbar recht konservativ, was Parker zu schätzen wußte. D'Alessandro legte Wert auf klassische Materialien, wo immer es möglich war. Der Rumpf des Bootes bestand allerdings aus Stahl. An Deck und vor allem im Innern herrschte der Ton edler Hölzer vor. Vor allem Mahagoni und Palisander hatten es Jaime d'Alessandro angetan gehabt.
Unga machte ein zufriedenes Gesicht. Das Boot gefiel ihm ganz offenkundig. Ein paar Schaulustige sahen zu, wie Parker und Unga ihre Habseligkeiten an Bord brachten und in den Schapps verstauten, während der Rest der Besatzung das Boot für das Auslaufen bereit machte. Linnero saß an der Pinne - in diesem Fall ein richtiges Ruder aus Holz, mit Messing beschlagen,
Weitere Kostenlose Bücher