1703 - So grausam, schön und tödlich
hin Menschen. In ihrem Innern allerdings stieg die Gier nach einer neuen Nahrung hoch, und sie würde zu einer regelrechten Sucht werden, die sie nicht abstellen konnten.
Sie brauchten Blut.
Und wer würde ihnen das Blut geben?
Menschen! Egal, ob es Männer oder Frauen waren. Sie würden es schon schaffen, sich den wunderbaren Lebenssaft zu besorgen, und die Vorstellung setzte so etwas wie einen Adrenalinstoß im Innern der Blutsaugerin in Bewegung.
Das wäre perfekt. Und sie würde zuschauen. Würde sehen können, wie sich die beiden entwickelten und an ihrer langen Leine liefen. Das war neu, und die Cavallo freute sich schon jetzt darauf.
Sie hatte nicht lange über den Plan nachgedacht. Schon jetzt stand er fest, und so ließ sie die Waffe stecken, mit der sie sonst die beiden vernichtet hätte.
»Das ist super«, flüsterte sie. »Ein neues Spiel, ein völlig neuer Anfang.«
Teil zwei des Plans stand auch schon fest. Sie würde warten, bis die beiden erwachten. Dann würde sie ihnen alles erklären, und sie würden sich fügen.
Bis sie zu echten Vampiren geworden waren, verging noch Zeit, aber die wollte sich Justine nehmen und später ihren Spaß haben, wenn sich die beiden Schönen unter die Menschen mischten …
***
Es waren nur Gerüchte, aber sie hatten sich immer mehr verdichtet, sodass sie auch an meine Ohren drangen. In einer gewissen Szene sollten angeblich echte Vampire unterwegs sein. Das musste nicht stimmen, denn gerade bei einem wahren Vampirhype, wie die Welt sie im Moment erlebte, gab es immer wieder diese Meldungen.
Die Szene war in Aufruhr!
Davon hatte ich nichts gemerkt, dafür meine Freundin Jane Collins, die als Privatdetektivin arbeitete und ihr Ohr stets am Puls der Zeit hatte.
Sie hatte an einem Nachmittag telefonisch auf mich eingeredet und mich dazu gebracht, mich mit ihr zu treffen und mal in der Szene unterwegs zu sein.
Jane Collins konnte wirklich sehr überzeugend sein, und so hatte ich zugestimmt.
Unser Treffpunkt war Smithfield Market. Eine historische Stätte, denn dort befanden sich nicht nur die alten Schlachthöfe der Stadt, hier waren in früheren Zeiten auch zahlreiche Hinrichtungen durchgeführt worden. Ob man die Menschen nun geköpft oder gehenkt hatte, das war egal. Es wurde viel gestorben, und das unter den Augen zahlreicher Zuschauer. So war die Gegend also etwas Besonderes.
Im Norden gab es die Schlachthöfe. Untergebracht in einer viktorianischen Halle, in der auch Fleisch verkauft wurde. Im Süden wurde das Gebiet vom ältesten Krankenhaus Londons begrenzt, dem St. Bartholomew Hospital, unweit von einer Kirche mit dem gleichen Namen, ein Zeugnis normannischer Baukunst.
Und zwischen diesen drei Eckpunkten bewegte sich die Szene, die auch in der kalten Jahreszeit keine Pause kannte. Das hatten geschäftstüchtige Menschen bald herausgefunden und in der Umgebung zahlreiche ausgeflippte Lokale eröffnet. Das war eine Mischung aus Bars, verrückten Szenekneipen, in denen die Arbeiter ebenso verkehrten wie die ganz Ausgeflippten, und irgendwelchen Fressständen, an denen Fleisch gegrillt wurde.
Genau in diesem Viertel sollten sich die echten Vampire herumtreiben. Das hatte mir jedenfalls Jane Collins erklärt.
Was noch wichtig für uns war, es gab in diesem Viertel tatsächlich drei Parkplätze, wo wir unseren Rover abstellen konnten. In Sommer hätten wir hier wohl keinen Platz bekommen. Im Winter sah dies anders aus, hoffte ich, und tatsächlich fanden wir noch eine freie Nische auf dem Platz direkt an der Smithfield Street.
»Angekommen«, sagte Jane Collins und öffnete ihre Tür. Ich ließ sie erst aussteigen, dann war ich an der Reihe, und ich stellte die Frage, die mir schon länger auf dem Herzen brannte.
»Ich bin jetzt an deiner Seite, und ich soll mit dir Vampire suchen?«
»Genau das.«
»Okay, dagegen habe ich ja nichts. Aber hättest du es dir nicht einfacher machen können?«
»Wieso?«
»Das liegt auf der Hand. Du hättest deine Mitbewohnerin Justine Cavallo mitnehmen können. Die hätte die Blutsauger bestimmt schnell aufgespürt.«
Jane band sich ihren hellen Schal richtig um. »Ja, das hätte ich tun können.«
»Und warum hast du es nicht getan?«
»Weil ich nicht weiß, wo sie steckt. Ganz einfach. Sie hat sich in den letzten Nächten nicht bei mir blicken lassen. Ich nehme an, dass sie wieder unterwegs ist, um irgendwo Nahrung zu sich zu nehmen. Glaube mir, ich hätte sie gern gefragt, aber sie hat es nun mal vorgezogen,
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