1713 - Carlotta und die Vogelmenschen
und nutzte die Freiheit sofort aus. Er warf sich herum und sah noch in der Bewegung, dass Carlotta nicht nur einfach gekommen war. Sie hatte sich auch auf einen Kampf eingestellt und eine primitive Waffe mitgebracht.
Es war ein kräftiger Ast. Mit ihm hatte sie den Vogel von Johnnys Rücken geschleudert, aber der Sieg war damit noch nicht da. Der Kampf ging weiter. Die Vögel gaben nicht so leicht auf. Sie flogen wieder ab und stürzten sich von oben auf ihre Opfer.
Carlotta stieß genau im richtigen Augenblick zu. Sie hatte lange gewartet, um sicher zu sein, auch einen Treffer zu landen. Und das schaffte sie.
Das harte Ende des Astes rammte so wuchtig gegen die untere Seite des Vogelkörpers, als sollte das Tier von dieser Waffe aufgespießt werden.
Das geschah nicht, aber es konnte keinen weiteren Angriff mehr starten und fiel zu Boden.
Und da wartete Johnny.
Er sprang mit beiden Beinen auf den Vogelkopf. Dabei hörte er das Knacken, als unter dem Fell etwas zerbrach, und er wusste, dass dieser Vogel ihn nicht mehr angreifen würde. Sein Körper zuckte zwar noch, die Flügel taten es auch, aber er würde sich nicht mehr erheben können.
Es gab noch den zweiten.
Johnny fuhr herum und sah, dass sich Carlotta das Tier vorgenommen hatte. Immer wieder stieß sie mit dem harten Astende gegen den Kopf des Vogels, der sich ebenfalls nicht mehr rührte.
Johnny taumelte etwas zur Seite. Er hatte den Wunsch, sich hinzusetzen, nur war eine große Pause nicht drin. Sie mussten weiter. Den ersten Angriff hatten sie überstanden, aber weitere Feinde lauerten im dunklen Wald.
Er ging zu Edwin, der zusammenschrak, als Johnny ihn auf die Schulter tippte.
»Wir müssen weiter!«
»Wie? Wieso? Hast du es geschafft?«
»Ja, ich habe Hilfe bekommen.«
»Von einer Frau, nicht? Ich hörte die Stimme.«
»Genau. Und jetzt komm hoch.«
Edwin stand alleine auf. Mit seinen leeren, blutigen Augenhöhlen sah er schrecklich aus. Er war nur noch ein zitterndes Bündel Mensch.
Johnny zog ihn mit zu Carlotta. An ihr war der Kampf auch nicht spurlos vorbeigegangen. Er sah, wie sie erschauerte und immer wieder den Kopf schüttelte.
»Das sind nicht alle gewesen, Johnny.«
»Ich weiß. Hast du die anderen zu Gesicht bekommen?«
»Nein, der Wald ist zu dicht, sie können sich überall versteckt halten.«
»Jedenfalls müssen wir so schnell wie möglich von hier verschwinden.«
»Ja. Ich habe mir auch Gedanken darüber gemacht, ob ich mich um diesen Mann kümmere, aber das wäre nicht gut. Denn wenn ich ihn begleite, wäre ich durch ihn behindert, und ich rechne damit, dass uns weitere veränderte Vögel angreifen werden.«
»Ja, sie stehen unter dem Einfluss von Mandragoro. Das habe ich herausfinden können.«
»Eigentlich ist er doch auf unserer Seite.«
»Heute nicht.«
»Gut, Johnny. Ihr beide setzt die Flucht zu Fuß fort. Ich suche mir einen anderen Weg.«
»Willst du in der Luft bleiben?«
»Das werde ich sehen. Auf jeden Fall suche ich mir immer die beste Position aus.«
Johnny wollte etwas sagen. Er hielt aber den Mund, denn von dort, wo noch immer die Fackeln brannten, wehte der laute Wirrwarr der Stimmen zu ihnen herüber.
Beide schauten sich an.
»Die haben was gemerkt!«, keuchte Johnny.
»Dann nichts wie weg!«
Die Orientierung hatten sie zwar nicht verloren, aber keiner von ihnen wusste genau, wie weit der Waldrand noch entfernt war. Nur die Richtung, in die sie laufen mussten, kannten sie.
Carlotta trat ein paar kleine Schritte zur Seite, um sich den nötigen Platz zu verschaffen. Sie breitete die Flügel aus, bewegte sie einen Moment heftig, dann glitt sie in die Höhe und verschwand durch eine Lücke zwischen den Baumwipfeln.
Edwin hatte das Geräusch der Schwingen gehört und bekam sofort Furcht. »Wer kommt da?«
Johnny beruhigte ihn. »Es kommt niemand. Es ist nur jemand vorbei geflogen.«
»Ah ja. Und was machen wir jetzt?«
Johnny ergriff erneut die Hand des Blinden und das Gelenk gleich mit.
»Wir werden jetzt unsere Flucht fortsetzen …«
***
Maxine Wells war in einen tiefen und auch traumlosen Schlaf gefallen, aus dem sie allerdings erwachte, weil ihr Mund plötzlich trocken geworden war.
Sie richtete sich in ihrem Bett auf, schüttelte den Kopf, rieb ihre Augen und hatte das Gefühl, nicht mehr so recht bei sich selbst zu sein.
Sie schaute auf die Uhr, bei der die Digitalanzeige grünlich leuchtete.
Die dritte Nachtstunde ging bereits ihrem Ende entgegen. Ausgeschlafen fühlte sich
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