1716 - Assungas Hexensturm
anders. Möglicherweise war die Lage einfach zu irreal, dass ich richtig erfasste, was los war.
»Ich merke es genau, John …«
»Was merkst du?«
»Dass dir so einiges durch den Kopf geht.«
Ihre Hand verkrallte sich in meinem Haar, und ich fragte mit leiser Stimme: »Ist das ein Wunder?«
»Nein, das ist es nicht.«
Ich verzog den Mund, als sie meinen Kopf nach rechts zerrte. Sie wollte, dass sich die Haut an meiner linken Halsseite straffte.
Ich wusste nicht, ob ich die Augen offen lassen sollte oder ob es mir besser ging, wenn ich sie schloss. Es war im Prinzip egal. Sie würde zubeißen, sie freute sich darauf, denn ich hörte sie flüstern, ohne zu verstehen, was sie sagte. Jedenfalls stand sie dicht davor, den Sieg über mich zu erringen.
Dann spürte ich ihre Berührung an meinem linken Hals. Dabei wusste ich nicht, ob es schon ihre Zähne waren, die wie Dolche aus dem Oberkiefer hervorwuchsen.
Plötzlich schlug mein Herz schneller, ohne dass ich dazu etwas beigetragen hätte. Und plötzlich kam die Angst. Sie war wie eine Welle, die mich überschwemmte. Ich kam mit mir selbst nicht mehr zurecht. Jetzt wollte ich auf einmal leben und nicht zu einem Wiedergänger werden.
Leben hieß in diesem Fall wehren.
Aber wie? Diese Blutsaugerin war einfach zu stark. Sie riss alles mit sich.
»Und jetzt nimm Abschied von deinem bisherigen Dasein«, flüsterte die Cavallo und drückte die Spitzen ihrer Vampirhauer gegen meine straff gespannte Haut …
***
Suko hielt sich noch immer im Supermarkt auf. Er stand nur draußen nahe der Rampe. Im Büro des Geschäftsführers hatte er es nicht mehr ausgehalten. Da war ihm die Luft zu stickig gewesen.
Er hielt sein Handy gegen das Ohr, denn Suko sprach mit seinem Chef, Sir James. Er hatte ihn einfach anrufen müssen, um ihn über die Neuigkeiten zu informieren.
Suko hatte deutlich gespürt, dass Sir James vom blanken Entsetzen erfasst wurde, als er ihm die Lage erklärt hatte. Jetzt wartete er auf eine Antwort seines Chefs. Die kam nicht, dafür hörte er ihn sehr schwer atmen, und er konnte sich vorstellen, wie es in ihm aussah.
Endlich fragte der Superintendent, und seine Stimme hörte sich dabei völlig fremd an: »Sehen Sie wirklich keine Chance mehr für ihn, Suko?«
»So ist es leider. Diesmal sind wir völlig hilflos. Wir wissen nicht mal, wo sich John befindet. Die Cavallo hat alles perfekt vorbereitet.«
»Und das wird erst der Anfang sein, denke ich.«
»Ja, Sir. Wenn sie John geschafft hat, dann wird sie sich uns der Reihe nach vornehmen. Ich bin wirklich kein ängstlicher Mensch, aber ich mache mir schon Sorgen, dass all das, was wir uns aufgebaut haben, zerfällt.«
»Es ist gut, Suko. Noch eine letzte Frage.«
»Bitte.«
»Wir können nichts mehr tun?«
»Nein, gar nichts.«
Nach einem schweren Atemzug sagte Sir James: »Dann ist es wohl an der Zeit, zu beten. Egal wie man dazu steht und welchen Namen der Gott trägt, vielleicht nutzt es was. Und wir sollten auch daran denken, dass John schon manchen Sturm überstanden hat.«
»Aber dieser hier ist ein Tornado, Sir«, sagte Suko und merkte sehr schnell, dass ihn der Superintendent nicht mehr gehört hatte.
Suko blieb auf der Stelle stehen und kam sich plötzlich mehr als überflüssig vor.
So fühlten sich nur Versager …
***
Der Sturm war da!
Ich hörte ein Brausen, ein Tosen, ein seltsam hohl klingendes Pfeifen, und wusste nicht, woher es kam. Es war durchaus möglich, dass es nur in meinem Kopf vorhanden war, aber es passierte zugleich noch etwas, denn ich erlebte keinen Schmerz im Hals durch den Biss.
Träumte ich? Oder erlebte ich den Sturm tatsächlich? Es war nicht zu fassen, das war schon der Wahnsinn, und ich wagte es, mich zu bewegen. Ich drehte den Kopf sogar in dem Augenblick, als die Zähne von meinem Hals verschwanden. Dafür hörte ich einen wilden Fluch und spürte neben mir die Bewegung, als die Cavallo in die Höhe schnellte und mich plötzlich vergessen hatte.
Das alles war nicht zu fassen. Aber ich erlebte auch keinen Traum, denn das Brausen war weiterhin zu hören, und einen Gedankensprung später wurde auch ich von diesem Windstoß erfasst, der sogar altes Laub aufgewirbelt hatte und mir Blätter ins Gesicht schleuderte.
Dass Zeit verstrichen war, wusste ich. Nur erlebte ich alles sehr nah und intensiv, und als ich dorthin schaute, wo sich die Vampirin noch vor Kurzem befunden hatte, war der Platz leer. Sie hatte mich einfach verlassen, aber sie war nicht
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