1747 - So schmeckt der Tod
Er hätte auch aus Papier sein können. Die beiden Zuschauerinnen beugten sich vor. In der Dunkelheit schienen ihre Augen zu leuchten. Die Lippen waren zu einem Lächeln verzogen. Sie schienen eine wilde Vorfreude auf das zu verspüren, was mit dem Mann geschehen sollte.
Erneut setzte Cora das Messer an. Diesmal spürte der Mann die Berührung, als die Spitze gegen seine Haut drückte, denn der dünne Hemdstoff hielt nicht viel ab.
Erneut krampfte sich Lucas Ball zusammen, als er sah, dass sich das Messer wieder von der Schulter her nach unten bewegte.
Das Messer zerschnitt den Hemdenstoff wie Papier, aber jetzt wurde auch die Haut in Mitleidenschaft gezogen. Der Mann verkrampfte sich noch mehr. Er wollte nicht schreien, wenn die Messerspitze über seine Haut glitt und dort einen rötlichen Streifen hinterließ.
So wie der Jackenärmel zerschnitten wurde, geschah es auch mit dem Hemd. Die beiden Hälften wurden zur Seite geklappt, dann lag der Arm frei.
Lucas schaute erst gar nicht hin. Er wollte stark sein und das Zittern unterdrücken, doch das schaffte er nicht. Und er dachte daran, dass er unter Umständen sein Leben verlieren konnte und diese Weiber ein Ritual an ihm vollzogen.
»Fertig, Cora?«
»Das siehst du doch.«
»Und jetzt?«
»Ich werde unten saugen, du in der Mitte und Ethel weiter unten.«
»Das ist gut.«
Lucas Ball hatte alles gehört. Und wieder glaubte er, im falschen Film zu sein, denn was er gehört hatte, war kaum zu begreifen. Das hatte sich tatsächlich angehört, als wollten diese drei Weibsbilder sein Blut trinken wie weibliche Vampire.
»Die Sucht ist noch immer da!«, flüsterte Ethel. »Ich – ich – spüre sie. Du auch, Donna?«
»Ja, trotz des Kreuzes.«
»Aber es sollte doch helfen«, beschwerte sich Ethel.
Cora mischte sich ein. »Kann sein, dass es noch ein wenig zu früh ist. Egal, ich fange an!«
In diesem Moment hielt Lucas Ball nicht nur den Atem an, er verkrampfte sich auch innerlich – und konnte den Schrei nicht mehr unterdrücken, als er den ersten Stich spürte, der dicht über seinem Handgelenk erfolgte und eine Wunde hinterließ.
»Das Blut läuft«, meldete Cora.
Sekunden später führte sie die beiden anderen Stiche durch.
Der Schmerz war schlimm. Er hatte den gesamten rechten Arm erfasst, und Ball glaubte, dass man ihn in Säure getaucht hätte. Es gab keine Stelle, die nicht schmerzte. Unsichtbares Feuer schien an seinem Arm entlang zu gleiten.
Sein Zustand verschlechterte sich. Er hatte den Eindruck, nicht mehr richtig sehen zu können. Die drei Frauen schmolzen ineinander, aber er hatte noch gesehen, wie sich die beiden anderen neben seinem Arm auf die Knie hatten fallen lassen.
Und dann erlebte er etwas, das ihn völlig aus der Fassung brachte. Er wusste nicht mal so recht, ob es den Tatsachen entsprach oder ob er sich alles nur einbildete. An drei verschiedenen Stellen des Arms spürte er einen sanften Druck. Er sah noch, dass sich die drei Gestalten tief gebückt hatten und hörte das Schmatzen und Saugen.
Sein Geist wollte sich verlieren, doch er blieb bei Bewusstsein. Dann wurde ihm klar, dass man ihm die drei Wunden zugefügt hatte, damit die drei Frauen sein Blut trinken konnten.
Wie bei den Vampiren.
Nur waren das hier keine, die man aus der Literatur kannte oder aus dem Kino, sie waren Blutsauger ohne spitze Vampirzähne, aber sie wollten sein Blut, und das schien ihnen zu schmecken.
Wie lange sie schlürften, schmatzten und saugten, das wusste er nicht.
Sein Gefühl für Zeit war nicht mehr vorhanden.
Aber nichts ist unendlich auf dieser Welt. Und das erlebte auch Lucas Ball. Plötzlich war Schluss. Zuerst nahm er es so gut wie nicht wahr, weil er noch das Nachbrennen in seinem Arm spürte, der am Boden lag, als würde er nicht mehr zu ihm gehören.
Er selbst schwebte. Nur nicht über dem Boden, sondern in einem eigenartigen Zustand. Er war nicht völlig wach, aber auch nicht bewusstlos. Die drei Frauen standen noch neben ihm, denn er hörte sie sprechen. Sie redeten davon, dass es ihnen gut getan hatte, obwohl sie versucht hatten, gegen ihr Schicksal anzugehen.
»Wir werden nicht aufhören«, sagte Cora.
»Der Meinung bin ich auch.«
»Dann lass uns verschwinden.«
»Was machen wir mit ihm?«
»Er kann hier liegen bleiben. Er ist ja nicht tot.«
»Dann nichts wie weg...«
Alles hatte der Mann gehört, doch er hatte das Gefühl, als hätten die Frauen in einer bestimmten Entfernung gestanden und gesprochen und nicht
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