1751 - Flucht ins Verderben
gewesen wäre, denn still war es im Haus nicht. Die Wissenschaftler waren zwar nicht zu sehen, denn sie hatten sich in ihre Zimmer in der oberen Etage zurückgezogen, aber manch einer saß vor der Glotze oder hörte Musik. Und da vermischten sich die Klänge miteinander.
Wir gingen in Richtung Treppe. An der linken Seite begann ein schmaler Flur. Auf diesen Zugang deutete Paul, als er anhielt.
»Dorthin?«, fragte ich.
»Ja.«
Ich überlegte noch. Es war nicht sicher, ob wir uns für den richtigen Weg entschieden hatten, aber wir mussten irgendwo anfangen, und das war in diesem Fall der Keller.
Ich wollte Paul noch eine Frage stellen, als mich mein Freund Harry durch seine Reaktion davon abhielt. Er fing an zu schnüffeln, zog mehrmals die Nase hoch und schlich dann auf die Treppe zu, wo er stehen blieb.
»Was ist los?«, flüsterte ich.
»Der Gestank, John. Riechst du ihn nicht?«
»Nein.«
»Es riecht nach Verwesung.«
Das war so etwas wie ein Alarmsignal. Paul ließ ich stehen, als ich auf Harry zuging. Vor der ersten Stufe warteten wir, und auch ich schnüffelte.
Ja, es stimmte. Harry hatte sich nicht geirrt. Ein schwacher Verwesungsgeruch lag in der Luft. Und ich ging davon aus, dass er nicht aus dem Keller nach oben stieg, sondern seine Quelle woanders hatte. Suchen musste ich nicht. Ich ging zwei Stufen hoch, ohne dass der Gestank verschwand.
Harry war vor der Treppe stehen geblieben. »Und? Hast du was herausgefunden?«
»Ja. Er kommt meiner Meinung nach von oben.«
»Dann ist er...«
Ich nickte. »Möglicherweise in der ersten Etage.«
»Stimmt, da sind die Zimmer.«
Paul schlich heran. Er hatte uns flüstern gehört und auch verstanden, was wir meinten.
»Dort oben gibt es viele Räume«, erklärte er, »und nicht alle sind belegt. Vielleicht hat er sich dort versteckt.«
Das war nachvollziehbar. Den Menschen gezeigt hatte er sich wohl noch nicht, dann wäre es nicht so ruhig gewesen.
Vor uns lag eine neue Aufgabe. Wir mussten zunächst die leeren Räume oben untersuchen. Auch Harry war der Ansicht. Er nickte mir zu, ein Zeichen, dass wir losgehen sollten.
Ich hatte nichts dagegen, bat allerdings den Bodyguard, hier unten zu warten.
»Ja, ich halte die Augen offen.«
Wir machten uns auf den Weg. Der widerliche Geruch blieb, aber etwas änderte sich.
Die Stille wurde von einem gellenden Schrei unterbrochen, der uns auf der ersten Etage erreichte...
***
Dicht vor der Tür stand ein Mann!
Ja, das auch, aber eigentlich sah Colette Renard ihn mehr als eine schaurige Gestalt an. Der Mann trug eine rote Kutte. Die Kapuze hatte er über den Kopf gestreift, wobei das Gesicht frei blieb, dessen Anblick auch nicht erhebend war, denn es war mehr eine teigige Fratze mit einem schief sitzenden Mund, einem weichen Kinn und Augen, die wie Glasmurmeln in den Höhlen lagen.
Das war nicht das Schlimmste. Als eklig und auch widerlich nahm Colette den Gestank wahr, der diese Gestalt umhüllte. Sie konnte sich darüber keine weiteren Gedanken machen, denn der Ankömmling reagierte schneller.
Er stieß beide Hände zugleich vor und erwischte Colette, die das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel.
Das war der Augenblick, als auch Marcel Cordes reagierte. Er hatte nicht genau gesehen, was passiert war. Jetzt sah er seine Kollegin am Boden, drehte den Kopf – und bekam große Augen.
Der Kuttenträger hatte das Zimmer betreten. Er trat die Tür zu und ging einen Schritt vor.
Dass sich der schlimme Geruch verstärkt hatte, registrierte Cordes nur am Rande. Er spürte plötzlich die Gefahr, die sich ins Zimmer geschoben hatte. Er konnte mit dieser Gestalt nichts anfangen, die ihre Kapuze jetzt zurückschob und so ihren Kopf präsentierte.
Dünne Haare waren zu sehen, die platt auf dem Schädel lagen. Aber das alles interessierte Cordes nicht, denn er hörte die Botschaft, die aus dem Mund des Eindringlings drang.
»Niemand übernimmt mein Haus. Es gehört mir. Und wer hier eintritt, den muss ich vernichten.«
Cordes verstand, begriff nur nichts. Er sah, dass sich Colette wieder aufrappelte und zur Tür schielte. Den Weg dorthin schlug sie nicht ein, denn dann hätte sie an dem Kuttenträger vorbei gemusst.
Der Wissenschaftler schaffte es, seine eigene Furcht zu überwinden. Ihm fielen einige Regeln ein, die er mal gelesen hatte. Es ging um das Verhalten bei einem Überfall. Sich auf keinen Fall wehren, wenn der andere im Vorteil war. Es galt, Zeit zu schinden, ihn ablenken und zugleich zum Reden zu
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