0527 - Der Grausame
Aus den grauen Wolken, die über dem Tal der Loire lagen, rieselte ununterbrochen der Schnee. Hinzu kam der scharfe Wind, der die Massen wie eine Wand vor sich herpeitschte und auch mir bei meinem bisherigen Gang hoch zum Schloß ins Gesicht schleuderte.
Ich hatte mit diesem unheimlichen Treffen wahrlich nicht gerechnet. Ich war vom Dorf Cerbac aus, wo Suko und Frank Didier auf mich warten wollten, allein losgezogen, um dem Schloß einen Besuch abzustatten. Diese Festung hoch über der Loire, die einmal Ariol Le Duc, dem Templer, gehört hatte, war nun zum Wohnsitz einer noch schlimmeren Person geworden.
Vincent van Akkeren, der Grusel-Star und Nachfolger des Dämons Baphomet.
Er gehörte zu meinen Todfeinden. Ich jagte ihn schon seit langem. Bisher war es mir leider nicht gelungen, ihn auszuschalten.
Er hatte immer wieder einen Dreh gefunden, mir zu entwischen.
Nun besaß er eine neue Waffe. Ein brandgefährliches Instrument, das eigentlich harmlos aussah, denn es handelte sich um eine scheinbar normale Kamera.
Die jedoch hatte es in sich.
Sie schoß zwar Fotos, nur zeigten diese Bilder Motive, die erst in der Zukunft geschehen würden, und dabei drehte es sich in der Regel um Mord, Tod und Grauen.
Wie van Akkeren es geschafft hatte, Ariol Le Duc wiederzuerwecken, wußte ich nicht. Ich war mir aber bei dieser Gestalt im Leichengewand sicher, daß es sich nur um den ehemaligen Schloßbesitzer handeln konnte.
Dieser Abend war schlimm. Da jagte man weder einen Hund noch eine Katze nach draußen. Nur »Zweibeiner« wie ich kämpften sich durch Schnee, Kälte und Wind. Der Winter war noch einmal zurückgekehrt, und das mit aller Macht.
Die kleine Lampe hatte eine Halogenbirne und war dementsprechend lichtstark. Durch ihren Strahl tanzten die Schneeflocken.
Der Zombie rührte sich nicht. Ich aber bewegte mich unfreiwillig, rutschte auf dem seifig gewordenen Boden aus. Der Lichtstrahl wanderte mit und tanzte, als ich nach Halt suchte.
Ich fand ihn an einem Baumstamm. Ein Ast kratzte über meinen Kopf und blieb am Schal hängen.
Ariol Le Duc zeigte sich irritiert, weil das Licht wanderte. Ich sah seine etwas fahrigen Bewegungen.
Dann hatte ich mich wieder gefangen und war auch innerlich bereit, um den Kampf mit ihm aufzunehmen. Die Beretta – sie war mit geweihten Silberkugeln geladen – steckte unter meinem Mantel. Ich zerrte sie hervor, wechselte die eingeschaltete Lampe in die Linke und zielte mit der Mündung in Richtung des hellen Lichtstrahls.
Den Untoten sah ich nicht!
Er hatte die Zeit genutzt und war abgetaucht. Mit sicherem Instinkt mußte er gespürt haben, daß ihm hier jemand gegenüberstand, der keine Angst vor ihm zeigte.
Ich erlebte jetzt das gleiche wie kurz vor seiner Entdeckung. Er zeigte sich mir nicht, dafür hörte ich ihn. Mir wehten die knackenden und brechenden Geräusche entgegen, wenn er sich durch das dichte Unterholz bewegte und auf nichts Rücksicht nahm.
Ich wechselte die Leuchtrichtung und schickte den Strahl schräg gegen das Hanggefälle.
Der Zombie hatte auf seiner Flucht einige Zweige abgerissen, die zu Boden gefallen waren. Eine Wand aus Schneekristallen schleuderte der Wind mit mächtigem Brausen in den Wald hinein.
Dadurch wurde mir die Sicht genommen, und ich kam nicht mehr zum Schuß.
Sollte ich Ariol Le Duc laufenlassen?
Im Normalfall hätte ich die Verfolgung aufgenommen, gar keine Frage. Nur war dies kein normaler Fall. Er hatte sich verzweigt und lief in zwei Richtungen.
Die eine Hälfte spielte sich oben auf dem Schloß ab, wo van Akkeren lauerte. Ihm war es gelungen, drei Geiseln zu nehmen.
Zwei Frauen und einen Mann. Von Frank Didier, der im menschenleeren Dorf zusammen mit Suko auf meine Rückkehr wartete, hatte ich diese Informationen erhalten.
Als Geiseln in der Hand eines Vincent van Akkeren! Was konnte es Schlimmeres geben? Das war die reinste Hölle, Grauen zum Anfassen, das war Folter und Psycho-Terror zusammen, denn van Akkeren war ein Menschenverächter.
So wie der Satan persönlich, so haßte auch er die Menschen, weil sie von dem absoluten Feindbild des Teufels erschaffen worden waren. Und wie vor Urzeiten, als alles begann, versuchte der Teufel auch heute noch, dem Schöpfer die Menschen oder deren Seelen abzujagen. Wenn es ihm gelang, war es für ihn jedesmal ein Triumph.
So verhielt es sich auch mit der Kamera. Sie fing die Seelen der Menschen ein, um sie dem Teufel zu überreichen. Das war für van Akkeren natürlich das ideale
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