1768 - Maschtaren sehen alles
III.
Gedeons Körper war bewegungsunfähig. Er spürte ihn nicht. Aber er konnte sehen und hören und klar denken. Der Fassygestank, der ihm immer noch anhaftete, stach ihm in die Nase. Seine Gedanken aber waren ein einziges Chaos.
Er hatte Gessis besiegt, hatte sich im Wettstreit seine Anwartschaft auf den Maschtartitel erkämpft. Warum hatte ihn dann Jorror daran gehindert, Gessis zu töten, indem er ihn mittels seiner Neuropeitsche lahmte?
Was Jorror danach mit ihm tat, war noch seltsamer. Er hob seine Arme an, bis sie seitlich ausgestreckt waren und er eine Haltung einnahm, als wolle er fliegen. Während Jorror das tat, würdigte er Gedeon keines Blickes. In dieser Haltung wurde er von einem wie aus dem Nichts auftauchenden robotischen Dreigestirn zu einem Transmitter gebracht und in einen Raum abgestrahlt, wie er ihn zuvor noch nie gesehen hatte. Unsichtbare Transportfelder brachten ihn vom Transmitter in die Mitte des Raumes. Dort blieb er eine Handspanne über dem Boden in der Schwebe. Sein Körper mit den steif ausgebreiteten Armen wurde in langsame Drehung versetzt. Er rotierte unaufhörlich um seine Achse, so daß er einen Überblick über den Raum mit seiner niedrigen Decke bekam.
Über die dunklen Wände erstreckten sich Batterien unbekannter Geräte mit Konsolen. Diese wurden aufgelockert durch eine Vielzahl von Projektionsflächen, und sie zeigten Bilder vom Alltag aus allen Bereichen der Schule der Maschtaren.
Gedeon sah Kukonden an der Arbeit, Zöglinge in ihren Zellen, beim Studium in den Lehrsälen und durch die engen verschlungenen Korridore hasten. Manche der Bildausschnitte zeigten auch leere Bereiche der Anlage, durch die ab und an ein Opera auf seiner Patrouille glitt.
Gedeon verstand. Dies war die Überwachungsanlage, mittels der die Maschtaren Einblicke in alle Bereiche ihrer Schule nehmen konnten.
Und dann gab es noch den Transmitter. Diesem gegenüber stand ein gedrungenes Metallgebilde mit verschiedenen Aufbauten und einem Schott in der Mitte. Es war vier Körperlängen breit und zwei hoch, und es mochte noch einmal vier Körperlängen in die Tiefe reichen. So genau konnte Gedeon das aus seiner Perspektive nicht sehen.
Jedesmal wenn er auf einer Umdrehung in Richtung dieses Tanks blickte, glaubte er, aus diesem gedämpfte Seufzer, Röcheln und Stöhnen zu hören. Was er zuerst für eine Täuschung hielt, wurde bald zur Gewißheit. Denn das Stöhnen wurde lauter, zu einem mitleiderregenden Wehklagen.
Was war das für ein Folterinstrument? Plötzlich ein langanhaltender Schrei. Der Schrei erstarb in Gewimmer, wiederholte sich aber gleich darauf. Und dann wollte das Schreien kein Ende nehmen.
Sollte er, Gedeon, als nächster in diesen Tank gesteckt werden?
Aber was hatte er verbrochen? Er war der Sieger dieses Wettkampfes. Er hätte zum neuen Maschtar gekürt werden müssen. Oder war dies ein Teil der Initiierungszeremonie?
Der letzte Schrei verhallte. Dampf stieg aus Ventilen des Foltertanks. Das Schott tat sich langsam auf und entließ zischend eine Nebelwolke. Nachdem sich der Nebel verflüchtigt hatte, sah Gedeon mühsam eine nackte Gestalt aus der Öffnung klettern. Sie wirkte erschöpft und schien sich mit letzter Kraft ins Freie zu schleppen.
Als der Gequälte das Gesicht hob und in Gedeons Richtung blickte, erkannte dieser Gessis.
Aber Gessis war ein anderer geworden. Er hatte nun rund um die Augen die gelben Male eines Maschtars. Gessis betrachtete ihn voller Verachtung.
Da begriff Gedeon. Dies war jene legendenumwobene Maschine, in der Maschtaren geprägt wurden. Die Existenz dieser „Presse" war allgemein bekannt, aber noch keiner hatte sie zu sehen bekommen.
Gedeon genoß diesen Vorzug, als vermutlich erster Außenstehender.
Gessis war der neue Maschtar. Bei der nächsten Umdrehung sah Gedeon die nackte Gestalt durch eine Tür verschwinden. Gessis würde nun wohl die Ausrüstungskammer aufsuchen, um sich dort in eine neue graue Kombination zu kleiden und den Maschthom sowie das schwarze Emblem in Empfang zu nehmen.
Aber warum Gessis und nicht er? Gessis war ihm in allen Disziplinen unterlegen, und er wäre längst ein toter Mann, hätte Jorror Gedeon nicht durch falsche Hoffnungen daran gehindert, ihn sofort zu erschießen.
Als Gedeon wieder in die Richtung der Tür gedreht wurde, schwebte durch diese eine Gestalt, die in derselben Haltung wie er erstarrt war. Die gestreckten Beine zusammengepreßt, die Arme wie zum Sprung oder zum Fliegen ausgebreitet. Bevor
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