1781 - Die Nackten und die Seherin
kannte das Spiel. Jetzt kam es auf Verhandlungsgeschick an. Sie tat etwas uninteressiert, schaute sich in der Gegend um und sah nicht weit entfernt eine junge Frau auf einer Bank sitzen. Neben ihr lag das, was sie verkaufen wollte, aber Glenda sah nicht, was es war.
Sie schüttelte den Kopf und stellte die kleine Vase wieder an ihren Platz zurück.
»Ich werde es mir noch mal überlegen.«
Die Verkäuferin nickte. »Tun Sie das. Aber nicht zu lange, sonst ist dieses Teil weg.«
»Ich weiß. Danke...«
Glenda ging weiter. Sie wollte tatsächlich darüber nachdenken, ob sie die Vase kaufen sollte oder nicht, aber der Abend war ja noch nicht beendet.
Sie ging weiter, und ohne dass sie es sich direkt vorgenommen hatte, näherte sich Glenda der Bank, auf der die junge Frau ihren Platz gefunden hatte. Sie saß da nicht einfach nur, um sich auszuruhen, sie wollte etwas verkaufen. Und das waren Kartenspiele.
Die meisten Besucher mieden die Person mit den rötlich-blonden Haaren. Nicht so Glenda Perkins. Sie ging auf sie zu, weil sie sich irgendwie von ihr angezogen fühlte.
Die junge Frau schaute auf. Ja, sie war noch jung. Ungefähr sechzehn Jahre, also beinahe noch ein Kind.
»Hi«, sagte sie.
Glenda nickte. »Du verkaufst Kartenspiele?«
»Ja.«
»Und?«
»Schau dir doch mal eines an.«
»Gern.« Glenda nahm das Spiel aus der Hand der Verkäuferin entgegen. Es waren normale Karten, vielleicht etwas glänzender als die Karten, die man sonst kannte.
Glenda drehte sie um, weil sie sich die Motive anschauen wollte. Mit normalen Karten hatte sie nicht gerechnet, das war schon klar. Die hätte man hier kaum loswerden können, was sie aber sah, überraschte sie schon.
Die Motive auf den Karten sahen so anders aus. Sie waren irgendwie immer gleich und trotzdem anders. Personen waren auf den Vorderseiten abgebildet. Manche waren männlich, andere wiederum Frauen.
Eines hatten sie gemeinsam. Egal, ob sie weiblich oder männlich waren. Sie waren allesamt nackt.
Glenda war nicht prüde. Sie musste in diesem Fall schon schlucken, denn damit hatte sie nicht gerechnet. Sie schüttelte den Kopf, aber wenn sie ehrlich gegen sich selbst war, dann konnte sie noch so intensiv auf die Karten schauen, sie fand nichts, was anstößig gewesen wäre.
Es waren in der Regel schöne Menschen, vor allen Dingen junge, so jung eben wie diejenige Person, die die Kartenspiele an den Mann oder die Frau bringen wollte.
»Gefallen sie dir?«
»Ja, nicht schlecht.«
»Du kannst ein Spiel kaufen.«
»Das weiß ich.«
»Du würdest es nicht bereuen, ganz bestimmt nicht.« Die junge Frau hatte den Satz mit großem Ernst gesprochen, aber Glenda wollte noch etwas anderes wissen.
»Warum sind die Personen alle nackt?«
»Rate mal.«
»Bitte, dann hätte ich nicht zu fragen brauchen. Warum also sind sie nackt?«
»Weil sie etwas Besonderes sind.«
»Wieso?«
»Schau genau hin.«
Das tat Glenda. Okay, sie alle sahen gut aus. Aber das war nicht die Lösung. Es musste etwas anderes dahinterstecken. Glenda selbst kam nicht darauf, und so wandte sie sich wieder an die blutjunge Verkäuferin.
»Wer sind diese Menschen denn? Sind sie deine Fantasiefiguren? Hast du sie erschaffen?«
»Nein. Oder bin ich der liebe Gott?«
»Das nicht.«
Die junge Verkäuferin lächelte. Sie schien noch nach einer Antwort zu suchen, weil sie die Stirn in Falten gelegt hatte, aber gleich darauf gab sie die Antwort, und die haute Glenda Perkins fast aus den weißen Sneakers.
»Die Frauen und Männer, die du siehst, sind alle Engel...«
***
Jetzt war es heraus, und Glenda sagte erst mal nichts. Sie stand auf der Stelle, hielt den Mund geschlossen und atmete nur durch die Nase. Mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet, aber sie wusste auch nicht, ob sie positiv oder negativ überrascht sein sollte. Sie konnte nur den Kopf schütteln.
»Glaubst du mir nicht?«
Glenda musste lachen. »Ich weiß nicht, ob ich dir glauben soll oder nicht, etwas seltsam ist es schon. Ein Kartenspiel nur mit Engelbildern? Das habe ich noch nie gesehen, davon habe ich auch noch nie gehört.«
»Das glaube ich. Es ist auch einmalig.«
»Ja.« Glenda legte das Spiel wieder auf die Bank. »Und wer kauft so etwas?«
»Ich denke, Menschen, die den Durchblick haben wollen.«
»Wieso?«
»Nun ja, die Engel können einem schon die Augen öffnen. Wen sie mögen, den verwöhnen die Engel. Dann haben sie einen tollen Schutz.«
»Und das weißt du?«
»Ich kann es
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