1802 - Stiefkinder der Sonne
schmalen Korridor. Er war schmucklos aus den schon bekannten Ziegeln gemauert. Wert auf Schönheit legte offenbar niemand. Zwei Türen zweigten nach beiden Seiten ab; sie waren aus rohen Brettern zusammengezimmert und mit dicken Schrauben im Mauerwerk verankert. Ihre lichte Höhe von knapp 2,30 Metern ließ ahnen, daß die Trokaner nicht gerade kleinwüchsig waren.
„Na los, geh schon rein!" kommandierte Bechner, als Sibyll zögernd die Hand ausstreckte. „Ich gebe dir Deckung." Seine Hand lag an der Waffe. „Worauf wartest du? Vorhin warst du weniger zimperlich."
Vorhin - da hatte sie vor dem seltsamen Schattenmonstrum Zuflucht gesucht.
„Na vorwärts, Mädchen", sagte Adasta grinsend. „Denk an die Einschaltquoten. Was glaubst du, wie die Überraschung auf den Gesichtern der Eingeborenen wirkt, wenn sie dich sehen."
Sibyll bedachte den Kameramann mit einem wütenden Augenaufschlag. Dann klopfte sie und stieß gleichzeitig die Tür auf.
Keine Beleuchtung flammte selbsttätig auf. Der Scheinwerferkegel huschte über einen matten Steinboden und glitt über bizarr anmutende Skulpturen. Erst auf den zweiten Blick erkannte Sibyll, daß es sich um das trokanische Pendant zu Möbeln handelte.
Gemauerte Säulen, mit Hohlräumen und Nischen versehen, und von diesen Nischen. ausgehend, unterschiedlich lange Ausleger, dünn wie Äste, aber auch breiter und in einem Wust fingerlanger Dornen endend. Tönern schimmernde, an Phiolen erinnernde Gefäße, steckten auf diesen Zacken. Daneben hingen und lagen alle möglichen Dinge, Werkzeuge, wie es schien, vielleicht aber auch Kochgeräte und Besteck. Was aussah wie eine windschiefe Gebäckzange mit vier unterschiedlich stark ausgeprägten Griffmulden, konnte durchaus eine Art Eßhilfe sein.
Abgesehen von der wahllos verstreuten Einrichtung war der Raum leer. Sibyll fühlte Enttäuschung und Erleichterung zugleich.
„Primitiv", kommentierte Gloom Bechner. „Wenn das alles sein soll, wofür wir Kopf und Kragen riskiert haben ..."
Er faßte nach einer Glühbirne, die an zwei miteinander verwundenen Drähten von der Decke herabhing.
Das kugelförmige Glas war rauh und unterschiedlich dick. Aber es erfüllte seinen Zweck; die Glühwendel regte offensichtlich das milchig wogende Gas im Innern zum Leuchten an.
Die Drähte waren mit Nägeln an den Wänden befestigt. Sie begannen in einein eigentümlichen Gestell, das Bechner als Dynamo identifizierte. Mittels Reibung konnte hier elektrischer Strom erzeugt werden.
„Auf Trokan erschließt sich ein neuer Absatzmarkt für einfache Produkte", bemerkte der Chefreporter.
„Nicht mehr, aber auch nicht weniger."
„Vorausgesetzt, es gibt interessantes Tauschmaterial", schränkte Adasta ein. Nach einem knappen Schwenk durch den Raum hatte er die Kamera wieder gesenkt.
„Und der Bohrkopf, ist das nichts? Das ist High-Tech vom Feinsten."
„An den kommen wir nicht ran, ohne Khan in die Arme zu laufen. Und was der mit uns anstellt ..."
„Wie ich ihn einschätze, zieht er uns die Haut in Streifen ab. Er liebt die Medien abgöttisch."
„Schön ist das nicht", sagte Sibyll leise. „Wißt ihr, was wir vorgefunden hätten, wenn dieses verdammte Temporalfeld nur eine Stunde länger gearbeitet hätte?"
„Wieso zerbrichst du dir den Kopf über ungelegte Eier?" fragte Mirco Adasta unwirsch. „Vergiß alle Wenn und Aber!"
„Ich finde den Gedanken trotzdem faszinierend", widersprach die Frau. „In nur einer Stunde, in einer einzigen Stunde hätten die Trokaner bodengebundene, motorgetriebene Fahrzeuge entwickelt, Flugzeuge und sogar eine eigene Raumfahrt. Von Funk, Fernsehen und Atomkraftwerken ganz zu schweigen."
„Oder sie hätten sich mit Atomkraft längst selbst in die Luft gejagt", sagte Bechner. „Einfach so - aus und vorbei. Das wäre nicht das erste Volk und bestimmt nicht das letzte, das aus Irrwitz kollektives Harakiri begeht."
„Du solltest nicht so reden, solange wir die Trokaner nicht kennen." Sibyll reagierte verärgert. „Dein Zynismus ist fehl am Platz. Und falls du der Ansicht bist, daß das alles hier", sie machte eine umfassende Handbewegung, „den Aufwand nicht wert war, weil jedes auf Altertümer spezialisierte Museum ..."
Da war ein Poltern, hinter ihnen, unter der geöffneten Tür ...
Alle drei wirbelten herum, Adasta aktivierte instinktiv die Bild- und Tonaufzeichnung.
Sekundenlang starrten sie einander an. Dann hob der Fremde beide Arme. Die Bewegung war schnell und fließend ...
Er war gut
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