1809 - Werwolf-Falle
darüber, dass die Tage und Nächte in dem Versteck sie geschwächt hatten, und dagegen musste sie ankämpfen. Sie fing an, sich schneller zu bewegen. In Deckung eines dicken Baumstamms blieb sie stehen und warf einen letzten Blick zurück.
Im schwachen Licht, das in der Hütte brannte, hätte sie eigentlich etwas Bestimmtes sehen müssen.
Dem war aber nicht so.
Es gab den veränderten Justus Baum nicht mehr.
Er war weg!
***
Der Platz vor dem Käfig war leer.
Justus hatte den kurzen Moment ihrer Flucht in den Wald ausgenutzt und ebenfalls die Hütte verlassen. Jetzt hatte sie das Nachsehen, und sie glaubte nicht, dass der Werwolf geflohen war.
Nein, der war noch da. Der würde seiner Bestimmung nachkommen müssen. In die Welt gehen und Opfer reißen.
Also Menschen …
Und Helene wollte nicht das erste Opfer sein. Sie musste vor ihm flüchten, obwohl sie ihn nicht sah.
Sie setzte sich in Bewegung und begann zu laufen. Zuerst ging es noch, doch schon nach ein paar Minuten wurden ihr die Beine schwer, und bald darauf hatte sie das Gefühl, schon kilometerweit gelaufen zu sein.
Sie streckte ihre Arme aus und stemmte die Hände gegen die raue Rinde eines Baums. Dann holte sie tief Atem und spürte ein Stechen in der Lunge.
Nach einer Weile ging es ihr wieder besser.
Erst jetzt kam Helene richtig zu Bewusstsein, was ihr gelungen war. Die Flucht. Ja, ihr war die Flucht gelungen. Endlich war sie weg, und ihren Gegner sah sie nicht.
Gegner!
Fast hätte sie gelacht. Helene hatte ein Monster gesehen, das zuvor kein Monster gewesen war. Das musste man sich mal vor Augen halten. Es war innerhalb kurzer Zeit zu einer solchen Kreatur geworden.
Stimmte das alles? War es wahr? Oder hatte sie sich etwas eingebildet, vielleicht auch …
Ihre Gedanken brachen ab, als sie ein Geräusch hörte. Bisher hatte sie nur die nächtliche Stille des Waldes erlebt, doch von einem Moment zu anderen wurde alles anders.
Irgendwo in der Nähe knackte es. Sie zuckte mit dem Kopf nach rechts.
Nein, da war nichts.
So etwas wie ein kleiner Stein fiel ihr vom Herzen. Der Weg in diese Richtung war also frei. Aber er brachte ihr nichts ein, das traf auch zu. Sie musste nach vorn laufen, wenn sie den Wald durchqueren und ihn hinter sich lassen wollte.
Einfach los und …
Ein Zischen erreichte sie. Und es war von vorn gekommen. Als hätte dort jemand ein Ventil geöffnet, aus dem ein Gas strömte.
Bevor sie sich darüber klar werden konnte, geschah es. Direkt vor ihr wuchs der Schatten in die Höhe, und es war ein mächtiger Umriss, nicht vergleichbar mit dem eines Menschen. Der hier war viel breiter in den Schultern.
Sie schrie auf, duckte sich und warf sich zur Seite. Sie wollte fliehen, aber es war zu spät. Zwar schaffte sie noch die erste Bewegung, aber das war auch alles.
Der Werwolf war einfach zu schnell. Mit einer seiner Pranken schlug er zu, und er fegte die junge Frau von den Beinen.
Helene Schneider landete auf dem Boden. Mit dem Hinterkopf schrammte sie dabei noch an einem Stamm entlang, dann hatte sie es hinter sich.
Sie blieb liegen und sah vor ihren Augen Sterne funkeln, obwohl die in Wirklichkeit nicht vorhanden waren.
Trotzdem war ihr Lebenswille noch da. Sie wollte sich nicht aufgeben, sie kämpfte weiter, und doch war es lächerlich, denn über sie fiel der mächtige Schatten des Werwolfs.
Etwas tropfte auf ihr Kinn. Sie wusste nicht, dass es Geifer aus dem Maul der Bestie war. Die griff jetzt zu. Ihre Pranken schob sie unter Helenes Körper, und dann war es für sie ein Leichtes, die Frau anzuheben.
Helene spürte es. Bei jedem Schritt schaukelte sie auf den Armen der Bestie. Der Unhold schleppte sie zurück in die Hütte und in den Käfig.
Dort ließ er sie los.
Helene fiel, schrie auf – und landete nicht mal eine Sekunde später auf der Couch.
Sie fiel weich, wippte nach und schloss auch nicht die Augen. Da sie auf dem Rücken lag, war ihr Blick in die Höhe gerichtet, und fast hätte sie wie irrsinnig geschrien, denn sie schaute genau auf die feuchte Schnauze des Werwolfs.
Das Maul war aufgerissen. Weißgelbe Zähne glänzten. Eine rote Zunge bewegte sich zwischen den beiden Kiefern. Sie sah auch die Augen, die so grausam und kalt auf sie blickten. Sie sah die Nase mit den großen Löchern darin und fragte sich, wo sie der Biss erwischen würde.
Zwei Pranken hoben sie an und drückten ihr die Arme auf ihren Körper. Das genau war die Haltung, die der Werwolf sich wünschte.
Und dann heulte er
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