1811 - Der Vogelmensch
eigentlichen Problem.«
»Wie sah er aus?«
Als Antwort hörte ich ein Schnaufen, dann einige Worte, die ich nicht verstand und anschließend – sie hatte sich wohl wieder gefangen – ihre Stimme, die sich beinahe überschlug.
»Es war ein Vogel!«
Hatte ich mich verhört? Nein, sie hatte …
»Kannst du deine Antwort wiederholen?«, bat ich sie.
»Ja«, kam es leise zurück. »Es war ein Vogel. Oder genauer gesagt, ein Vogelmensch.«
Jetzt war es an mir, sprachlos zu sein. Was sollte ich dazu sagen? Ich wusste es nicht. Ich wusste auch nicht, ob ich Maxine Wells glauben konnte.
Ein Vogelmensch!
Unmöglich?
Nein, das nicht. Auch nicht unglaublich, denn Carlotta war ein Vogelmädchen. Ein normal aussehender Teenager, der allerdings auf seinem Rücken Flügel oder Schwingen hatte.
So hätte ein anderer Vogelmensch auch aussehen können, und deshalb schob ich die Antwort nicht einfach so beiseite. Das konnte schon alles stimmen. Zudem hatte ich es bei Maxine Wells nicht mit einer Person zu tun, die sich so etwas aus den Fingern saugte, nur um sich wichtig zu machen.
»Du sagst nichts mehr, John.«
»Ich denke nach.«
»Und?« Jetzt lachte sie. »Du kannst mir nicht glauben, wie?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber …?«
»Kannst du mir den Entführer beschreiben? Diesen – ähm – Vogelmenschen?«
»Ja, das kann ich, obwohl die Beschreibung unvollständig bleiben wird, weil ich sein Gesicht nicht gesehen habe. Es war durch eine Art von Tauchermaske verdeckt.«
»Aha. Und sonst?«
»Flügel!«
»Bitte?«
»Ja, John Sinclair. Dieser sehr kräftige Mensch hatte Flügel, und ich glaube nicht daran, dass er ein Engel gewesen ist. Er hätte sich sonst anders verhalten.«
»Okay, du musst es wissen.« Dann stellte ich noch eine Frage. »Bitte, ich möchte jetzt genau wissen, was geschehen ist, damit ich mir ein Bild machen kann.«
»Ja, ich erzähle es. Ich habe mich wieder so weit in der Gewalt, dass ich es kann.«
»Gut.«
Suko saß mir gegenüber. Er hatte alles mitgehört, ebenso wie Glenda Perkins, die auf der Türschwelle stand. Ich hörte die Einzelheiten, und es war klar, dass niemand der Tierärztin einen Vorwurf machen konnte. Gegen einen derartigen Gegner kam sie nicht an. Zudem war sie noch überrascht worden.
»So sieht es aus, John, und ich weiß nicht, ob ich Carlotta noch mal lebend wiedersehe.«
Ich wollte ihr Mut machen und sagte: »Wirf die Flinte nicht gleich ins Korn.«
»Aber was soll ich denn machen?«
»Nachdenken. Und zwar mit mir zusammen.«
»Bringt mir das Carlotta zurück?«
»Es könnte uns helfen, das Richtige zu tun.«
»Das glaube ich nicht. Das kann ich nicht glauben.«
»Lass es uns trotzdem versuchen.«
»Gut.«
»Dann fange ich mal an. Hast du noch etwas von ihm gesehen? Vielleicht nur einen Teil des Gesichts?«
»Nein, John«, zitterte es in mein Ohr. »Er hat doch diese Maske getragen. So eine alte Gasmaske mit so großen runden Augen. Dahinter funkelten sie.«
»Menschenaugen?«
»Das glaube ich nicht. Ich habe auch nicht lange hinschauen können, denn er hat mich außer Gefecht gesetzt.«
»Und Carlotta dann geholt.«
»Richtig, John.«
Mit leiserer Stimme stellte ich die nächste Frage. »Und hast du über einen Grund nachgedacht?«
»Ja, das habe ich.«
»Und?«
Sie lachte leise. »Er ist klar, denke ich. Er liegt auf der Hand. Carlotta ist ein Vogelmädchen. Sie ist kein normaler Mensch, und sie wurde ebenfalls von einem nicht normalen Menschen geholt. Ich weiß nicht, woher er kam und wie es dazu gekommen ist, dass er so aussah. Ich habe schon gedacht, dass er auch einer von diesen Probanden hat. Ein anderer Begriff fällt mir nicht ein.«
»Du meinst die Probanden von Professor Elax damals?«
»Ja, das ist möglich. Es kann doch sein, dass nicht nur Carlotta entkommen ist.«
»Ja, der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Ich denke aber auch darüber nach, weshalb er sein Gesicht versteckt. Das muss einen Grund haben.«
»Klar, John. Sein Gesicht ist mit dem eines Menschen nicht zu vergleichen. Es kann doch sein, dass er einen Vogelkopf hat. Oder zumindest ein Vogelgesicht.«
»Ja, das kann man durchaus so sehen.«
»Wunderbar. Dann muss ich nur nach einem Menschen mit Vogelkopf Ausschau halten. Ist ganz einfach.«
»Nein, das musst du nicht, Max.«
»Aha. Was schlägst du dann vor?«
»Dass wir beide Ausschau halten.«
Es war ein Seufzer zu hören und dann ein erleichtert klingendes: »Du
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