186 - Wächter der Stille
aggressive Revierbesitzer klebte, sehnte er sich fast zurück in die Gefilde der Shaakas und Killerwaale. Diese Jäger waren Spielzeug im Vergleich zu dem, was hier unten herum spukte.
Von wegen unbewohnt! Hatte sich was mit Plankton und kleinen Schalentieren! Die gab es auch, sicher. Aber nur, damit das Futter der Größeren was zu fressen hatte, sodass die ganz Großen immer fette Beute machten, ehe sie selbst im Maul der Giganten verschwanden.
So wie Agat’ol.
Dass er dabei war, gefressen zu werden, hatte er erst gemerkt, als ihn aus lichtloser Dunkelheit eine Gegenströmung erreichte, die warm war und stank. Er versuchte ihr auszuweichen und geriet dabei an etwas, das aussah wie turmhohe Stalagmiten. Der Mar’osianer brauchte eine ganze Weile, um zu akzeptieren, dass die halb verdauten Tiefseekraken dort nicht etwa zufällig fest hingen – und dass die vermeintlichen Kalksteingebilde Zähne waren.
Agat’ol erschauerte bei der Erinnerung.
Er konnte noch immer kaum glauben, dass hier unten Wesen existierten, die derart gigantisch waren, dass man sie einfach nicht mehr sah! Irgendwie wollte er das auch nicht. Also lenkte er seine Gedanken auf Quart’ols Transportqualle. Die war angenehm klein.
Und weg!
Ich verstehe das nicht, dachte er wütend. Der Soord’finn hat noch nie versagt! Wie konnte er ihre Spur verlieren?
Doch alles Grübeln und Ärgern nützte nichts. Die Transportqualle war verschwunden, und Agat’ol blieb die Wahl, entweder umzukehren oder nach ihr zu suchen. Er entschied sich für Letzteres. Hauptsächlich deshalb, weil der Weg in die Tiefe zu lang und zu quälend gewesen war, um aufzugeben.
Zehntausend Meter unter dem Meeresspiegel. Tagelanges Tauchen, von Zwangspausen durchsetzt, damit das überlastete Herz nicht den Dienst quittierte. Dunkelheit, ohne Hoffnung auf Unterbrechung. Unvorstellbarer Druck auf jedem Quadratzentimeter Haut, der die Muskeln lähmte und müde machte. So müde!
Schlimmer noch als die körperlichen Qualen war die Auswirkung auf die Psyche. Agat’ol ritt in ewiger Finsternis dahin, vorbei an ausschließlich dunklem Gestein. Nichts, aber auch wirklich nichts war zu sehen – keine festen Gegenstände, keine Umrisse. Nur diese Lichter. Frei herum schwimmende oder irgendwo angewachsene Punkte. Sie tanzten einem durch den Verstand! Man sah plötzlich Dinge, die nicht existierten; Formen, die es gar nicht gab.
Im Marianengraben wimmelte es nur so von Biolumineszenzen. Jede Alge, jedes Plankton und jedes Schalentier, das etwas auf sich hielt, glomm und blinkte vor sich hin. Auch die großen Jäger – der Isellafisch zum Beispiel, der aus kaum mehr bestand als einem riesigen Maul voller Zähne – schleppten ihre eigene Beleuchtung mit sich herum.
Diese ständigen Irrlichter überall in der Dunkelheit, die das Auge nur selten fixieren konnte, hätten völlig ausgereicht, um den Mar’os-Krieger in den Wahnsinn zu treiben.
Doch da war noch mehr.
Als er die Stimmen zum ersten Mal hörte, hielt er sie für eine Sinnestäuschung. Agat’ol hatte wenig geschlafen in letzter Zeit, da kam es vor, dass man sich Dinge einbildete. Die rätselhaften Stimmen benutzten eine Sprache, die er nicht verstand. Allerdings glaubte er an einer Stelle aus ihrem Gewisper ein uraltes hydritisches Wort herauszuhören, dessen Erwähnung ihn über alle Maßen erstaunte.
Mar’ok’shimre.
Es war der Name der Heiligen Stadt des Martok’aros.
Agat’ol erinnerte sich plötzlich wieder an längst vergessene Geschichten aus seiner Kindheit. Mar’os, der Gott des Krieges und der Starken, hatte irgendwann in grauer Vorzeit eine Stadt gegründet, die als Gegengewicht zum ehrwürdigen Gilam’esh’gad der Hydree fungieren sollte. Damals hieß er noch Martok’aros und war in eine Privatfehde verstrickt mit einem der neunundzwanzig Großen Ramyd’sams, diesen weinerlichen Herrschern und Geschichtsschreibern der Guten.
Algen fressende Schlappflossen!, dachte Agat’ol verächtlich.
Es heißt, sie haben ein ganzes Buch voll gejammert über den bösen Mar’os und seine bösen Anhänger! (die Chronik der Hydree, [4] ) Wir fressen Menschen – huch, wie furchtbar! Wir nehmen von den Schwachen, was wir haben wollen, wir kämpfen und wir töten, denn wir glauben an das Recht des Stärkeren. Und? Sollte das ein Irrglaube sein? Wird die Welt vielleicht von Delfiinstreichlern regiert?
Der Mar’os-Krieger verzog den Mund. Wie es mich anwidert, dieses Geschwätz der Hydriten von Frieden und
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