1882 - Die 48 Stunden von Terrania
betrachtete seine nähere Umgebung und wollte einfach nicht glauben, was er sah.
Er befand sich auf der Thora Road im Süden des Faktorelements Terrania-Süd, und er war nicht mehr weit vom Gelände der Universität entfernt, zu der er zurückkehren wollte, nachdem er von seiner Mutter und seiner geliebten Schwester Kristi getrennt worden war.
Allzu nah war das Faktorelement.
Rund zwanzig Kilometer breit und 7,5 Kilometer hoch war eine Seite des Barrieren-Gevieds um das Element herum. Die Faktordampf-Barriere bildete eine Mauer, durch die er nicht hindurchsehen konnte; sie war eine halb transparente, halb nebelhaft schimmernde Front, ein Feld aus Energie.
Sie wirkte unheimlich, bedrohlich und bedrückend.
Ein Fremdkörper mitten in Terrania City, einem bösartigen Geschwür gleich, das seine todbringenden Boten ausschickte, um an anderen Stellen der Stadt Metastasen zu bilden.
Abraham erinnerte sich kaum noch an das, was am Tag zuvor geschehen war. Er hatte seine Mutter gesucht, und irgendwann hatte er sie und Kristi mitten im Schlachtengetümmel gefunden.
Doch dann waren sie in die Hände mehrerer Dscherro gefallen, und einer von ihnen hatte sich den Kopf seiner kleinen Schwester in den Rachen gesteckt, um terranische Spezialisten davon abzuhalten, gegen sie zu kämpfen.
Über die nachfolgenden Minuten oder gar Stunden hatte ein gnädiges Schicksal den Schleier des Vergessens gelegt.
Abraham wußte nicht mehr, was im einzelnen geschehen war. Ihm war nur noch im Gedächtnis, daß die Dscherro .ihn irgendwann von sich gestoßen hatten und mit Nora und dem Baby weitergelaufen waren. Ob sie sich auch von seiner Mutter getrennt hatten, war ihm nicht bekannt.
Dennoch hatte er sie gesucht. Beide. Nora und Kristi. Doch gefunden hatte er sie nicht.
Die Nacht war hereingebrochen über Terrania, doch die Schlacht war mit unverminderter Härte weitergeführt worden. Sie hatte weite Teile der Stadt verwüstet.
Abraham sah verbrannte und in sich zusammengestürzte Häuser. Von Wolkenkratzern, die ehemals bis in eine Höhe von zwei Kilometern aufgeragt hatten, waren nun nur noch Trümmerhaufen übriggeblieben, aus denen geschwärzte Stahlskelette ihre klagenden, von Hitze und Gewalt bizarr verformten Finger emporstreckten.
Darüber schwebten die gewaltigen Körper der Raumschiffe der NOVAKlasse. Die PAPERMOON war wieder bis in eine Höhe von etwa fünfzehn Kilometern aufgestiegen, die anderen noch höher. Zwischen ihnen bewegten sich zahlreiche kleinere Einheiten.
Überall lagen Wracks von Flugmaschinen der Terraner und der Dscherro, von Robotern beider Seiten und vor allem von Zivilfahrzeugen der Stadtbewohner.
Abraham sank wieder hinter den Gleiter. Er vergrub das Gesicht in den Händen.
Er wollte die vielen Leichen nicht sehen.
Der junge Terraner war ein ausgesprochen friedfertiger Mensch, der stets der Gewalt ausgewichen war und immer eine gewaltlose Einigung bei Konflikten gesucht hatte - bis ein Dscherro sich an seiner Schwester Kristi vergriffen hatte.
Der Achtzehnjährige sah unfertig aus und jünger, als er tatsächlich war. Er hatte ein offenes, klares Gesicht mit einem relativ dunklen Teint und tiefbraunen Augen. Das glatte schwarze Haar hing ihm wirr in die Stirn, was ihn sonst sicherlich gestört hätte, ihm nun jedoch vollkommen egal war.
Wieso war es so still? Hatten die Parteien eine Kampfpause vereinbart, um die vielen Toten und Verletzten bergen zu können?
Es war offenbar so.
Steh auf! ermahnte Abraham sich. Das ist eine Chance für dich, zur Uni zu kommen.
Er war müde und erschöpft, und es kostete ihn einige Anstrengung, erneut auf die Beine zu kommen.
Als er es geschafft hatte, blickte er nicht links und rechts, sondern machte sich auf den Weg zur Universität.
Staub und Asche wirbelten unter seinen Füßen auf.
Weshalb hatten sich die Dscherro eigentlich für ihn interessiert? Oder war alles nur ein Zufall gewesen?
Diese Frage hatte er sich schon oft in den vergangenen Stunden gestellt.
Zusammen mit seinem Freund Olehonn, der sehr schnell zu einem Opfer der Dscherro geworden war, hatte er an der Syntronik der Anstalt gearbeitet, um einen - verbotenen - Zugang zur Hypnoschulung zu finden und diese zu manipulieren. Sie hatten ihre Tätigkeit nicht einmal als ein unehrenhaftes Vergehen gegen den Kodex der Uni angesehen, eher als ein intellektuelles Vergnügen.
Hatten sie ungewollt irgend etwas getan, womit sie die Dscherro gestört hatten? Waren sie auf irgendeinem Wege deren
Weitere Kostenlose Bücher