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19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ihm, sondern ich stand als Seele bei ihm. Ich sah ihn liegen; ich sah euch alle, dieses Tal, die beiden Höhen, den Himmel darüber, die Mekkaner, die Beni Khalid, ihre Kamele, dein Kamel und auch dich selbst, der seine Füße befreit hatte und den sie nun wieder banden.“
    „Das, das hast du gesehen?“ fragte ich betroffen.
    „Ja.“
    Was sollte ich da denken? Der Schuß, der ihn niederwarf, war ja schon längst gefallen, als ich wieder gefesselt wurde. Wie also konnte er davon wissen? Totgestellt hatte er sich doch jedenfalls nicht! Man denke, mit der Kugel im Herzen! Und nur erraten konnte er es auch nicht, denn ich war ja nicht mehr gebunden. Überhaupt war es mir, wenn ich ihn so neben mir sitzen sah und in dieser Weise sprechen hörte, ganz und gar unmöglich, anzunehmen, daß er uns auch nur mit dem geringsten Worte täuschen wolle.
    „Ja“, fuhr er fort, „ich stand mitten unter euch und sah meinen Körper, meine Leiche liegen. Ich war also Seele, als Mensch gestorben, als Seele aber weiterlebend.“
    „Konntest du diese deine Seele, also dich selbst, sehen?“
    „Ja, denn ich besaß alle meine Sinne noch, und mein Seelenkörper glich ganz genau dem irdischen, ganz genau, bis auf das einzelne Haar meines Bartes und den Nagel meines kleinen Fingers. Vor dem Tod fürchtete ich mich nicht vor ihm; ich war voller Mut und bot der Waffe des Ghani ruhig meine Brust. Kaum aber war mein Körper tot, so erfüllte mich der Gedanke, gestorben zu sein, mit Entsetzen. Ich dachte an die Mauer mit den vielen Todespforten – – – Allah w' Allah, kaum hatte ich an sie gedacht, so war ich schon dort! Während der Mensch auf Erden nur langsam zur Einsicht kommt, gelangte ich, da ich nun Seele war, nicht nach und nach, sondern sofort zu der Erkenntnis, zu der Überzeugung, daß Gedanke und Tat, Wunsch und Wirklichkeit in jenem Leben nur eins, nicht zweierlei ist. Kaum dachte ich an Es Setschme, den Ort der Sichtung hinter jener Mauer, so war ich auch schon da. Und als mir El Mizan, die Waage der Gerechtigkeit, einfiel, stand ich auch schon vor derselben. Was Ben Nur dem Münedschi zeigte, muß ein Gesicht, eine Übertragung gewesen sein, denn in Wirklichkeit vollzieht sich alles viel, viel schneller, ja mit Gedankenschnelligkeit! Nur die Zeit vor der Waage dünkte mir eine Ewigkeit, eine ganze, ganze Ewigkeit zu sein. Mich schauert noch in diesem Augenblick vor ihr!“
    Er schüttelte sich, und das war nicht bloß ein Schütteln des Körpers, sondern nach innen hinein, wobei die Blässe seines Gesichtes ganz erschrecklich wurde. Was sollte ich von ihm und von dem, was er sagte, denken? War er nur betäubt gewesen, wie ich nach meinem Sturz von der Höhe? Ich hatte da das Gefühl eines unaufhörlichen Fallens gehabt. Hatte da vielleicht ein ähnliches Gefühl in ihm die jenseitigen Orte vorgegaukelt, deren Namen ihm seit unserer Szene mit Ben Nur im Gedächtnisse standen? Aber nur betäubt, das konnte ich mir gar nicht denken. Es war kein Zweifel daran zu setzen, daß ihn die Kugel getroffen hatte, und zwar in das Herz. Ich selbst sah ja das Loch in seinem Gewand! Um mir Klarheit zu verschaffen, sprach ich jetzt die Bitte aus:
    „Du hast viel geblutet und blutest wohl jetzt noch. Erlaube mir, daß ich vor allen Dingen einmal nach deiner Wunde sehe!“
    „Warte jetzt noch!“ antwortete er. „Das Bluten hat aufgehört. Ich habe keinen Schmerz. Was ich fühle, ist nichts als ein Druck, der mir das Atmen erschwert. Wahrscheinlich verblute ich mich, sobald die Wunde wieder berührt wird; aber doch ist mir auch gesagt worden, daß ich noch länger leben muß! Mag es nun das eine oder das andere sein, so will ich zunächst meine Seele von der Last erleichtern, welche sich an der Waage der Gerechtigkeit mit zermalmender Schwere auf sie gelegt hat!“
    Er bat um Wasser, trank, als es ihm gegeben wurde, einen Schluck und sprach dann weiter:
    „Der Münedschi scheint eine wirkliche Waage gesehen zu haben. Vielleicht haben bei ihm an jenem Abend die seelisch gemeinten Gegenstände eine körperliche Gestalt angenommen. Ich habe keine wirkliche Waage, kein Werkzeug zum Wiegen gesehen, aber dennoch und dennoch war diese Waage da. Hast du, Effendi, schon einmal gehört, daß in der Todesstunde das ganze, ganze Leben des Sterbenden, sogar mit allem, was er längst vergessen hat, an ihm vorüberziehe?“
    „Ja. Das hat man mir schon öfters behauptet.“
    „Diese Behauptung ist wahr, ganz entsetzlich wahr! Als ich an die

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