191 - London - Stadt der Vampire
Felsenkuhle brannte das ewige Feuer des schwarzen Orakel.
Niemand brauchte sich darum zu kümmern. Es brauchte nicht genährt zu werden, es brannte immer, selbst der wildeste Sturm vermochte es nicht auszulöschen.
Schwarze, prophetische Gase wurden auf diese Weise abgefackelt. Wollte man sie aktivieren und befragen, mußte man das entsprechende Ritual kennen. Außerdem gehörte ein spezielles Pulver dazu, dessen Ingredienzien nicht jedermann bekannt waren.
Torath breitete die Arme aus, streckte die gespreizten Finger mit den langen Krallen hoch und sprach die wichtige Eingangsformel, ohne die man keinen Zugang zu den verborgenen Geheimnissen hatte.
Er ließ sich Zeit, ging gewissenhaft vor, denn ein falsches oder undeutlich gesprochenes Wort konnte alles zunichtemachen, dann war das schwarze Orakel für ihn selbst dann nicht mehr zugänglich, wenn er beim nächstenmal alles richtig machte.
Mit einem einzigen Fehler konnte man sich für alle Zeiten selbst einen Riegel vorschieben, der sich nie mehr entfernen ließ.
Konzentriert ließ Torath die rituelle Handlung ablaufen. Als das ewige Feuer seine Bereitschaft bekundete, ihm Rede und Antwort zu stehen, streute er sein Pulver, das wie gewöhnlicher Sand aussah, in die Flammen.
Sie duckten sich und ›rannen‹ über den Felsen. Ein aggressives Zischen ertönte, und giftgrüne Dämpfe hüllten den Stein völlig ein.
Er wurde zum Reflektor, der Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbilder kommentarlos zeigte. Seinen Reim mußte man sich selbst darauf machen.
Oft lag es an einer falschen Deutung, die das schwarze Orakel unglaubwürdig erscheinen ließ. Man mußte richtig zu kombinieren verstehen, sonst zog man falsche Schlüsse und wurde von den völlig anders verlaufenden Ereignissen überrascht.
Ein zorniger Laut entrang sich Toraths Kehle, als er Loxagons Gesicht erblickte. Er haßte den Teufelssohn, war dessen Todfeind. Leider wußte Loxagon das. Torath hatte seine Gefühle vor ihm nicht gut genug verborgen. Wenn Asmodis nicht so große Stücke von Torath gehalten hätte, hätte Loxagon mit Sicherheit schon etwas gegen ihn unternommen, doch vorläufig vermied der Teufelssohn alles, womit er sich den Zorn seines Vaters hätte zuziehen können.
Loxagon hatte dazugelernt.
Einst war er wild und ungestüm gewesen, und das hatte ihn beinahe das Leben gekostet. Noch einmal würde ihm das nicht passieren.
Diesmal wartete er mit einer Geduld, die ihm niemand zugetraut hätte, auf seine Chance.
Zu Loxagons Gesicht gesellte sich eine dreiäugige, mit glänzenden Blasen übersäte Fratze - Croon!
»Der Höllenkiller!« knirschte Torath.
Loxagons Gesicht verschwand. Croons Fratze blieb, veränderte sich aber schon bald und wurde zu einem müden, schlaffen Teufelsgesicht.
Das war Asmodis - kraftlos, geschwächt, verbraucht von dieser geheimnisvollen ›Krankheit‹, deren Ursache sich niemand erklären konnte.
War Gift im Spiel? Es gab nur ganz wenige Gifte, die dem Höllenherrscher schaden konnten. Gegen die meisten war er immun.
Die Dämpfe verflüchtigten sich, und nun lag es bei Torath, das Orakel richtig auszulegen. Er nahm an, daß Loxagon von der fortschreitenden Schwäche seines Vaters wußte. Vielleicht hatte ihn Croon unterrichtet.
Der Teufelssohn konnte sich vorstellen, was passierte, wenn er nicht schnell genug zu seinem Vater eilte. Er mußte in der Nähe des Höllenthrons sein, damit ihn ihm niemand streitig machen konnte, wenn der Zeitpunkt der Machtübernahme gekommen war.
Und er wußte, daß es jemanden gab, der Asmodis’ Platz einnehmen und sich über ihn stellen wollte. Um das zu verhindern, bediente er sich des Höllenkillers!
Das bedeutete für Torath, daß er unverzüglich handeln mußte. Er verließ das Orakel und lief den felsigen Hügel hinunter. Er rief nach Gorgo, dem schlangenhäuptigen Boten, und trug ihm auf, die Mitglieder des Rates der Ersten Teufel zusammenzurufen.
»Sag ihnen, sie sollen sich unverzüglich auf den Weg machen, es gibt Wichtiges zu besprechen!« befahl Torath.
Gorgo entfernte sich. Aber er kam nicht weit, denn Croon lag auf der Lauer.
***
»Miß Daphne Rafferty?« hatte ich gefragt.
Der Fotograf fuhr herum und sah uns verdrossen an. »Also nein, Jungs, jetzt geht es wirklich nicht. Wir haben zu arbeiten. Kommt in zwei Stunden wieder, okay? Dann stehen wir euch gern zur Verfügung.«
»Von Ihnen wollen wir nichts«, erwiderte Mr. Silver. »Wir haben mit Miß Rafferty zu reden.«
»In zwei Stunden !«
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