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1912 - Der Zylinder-Mann

Titel: 1912 - Der Zylinder-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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ersten Momenten schien es für die Optimisten das Ende von allem zu sein.
    Es folgten weitere Meldungen. Sonden übertrugen von der Oberfläche Bilder in die Tiefe, und fast konnte man dabei zusehen, wie die Nebelwände immer heller und transparenter wurden.
    Und um 14.20 Uhr, genau 55 Minuten nach Beginn der Entwicklung, gab es keine Barriere mehr um Alashan.
    Das Faktorelement existierte nicht mehr. An den Grenzen waren klar und unbehindert die Stadt Zortengaam sowie die Landschaften auf den anderen Seiten zu sehen. Terranias südlicher Stadtteil war nun endgültig Teil dieser Welt geworden, der Welt der Thorrimer endgültig und unwiederbringlich.
    Hektische Diskussionen der Wissenschaftler folgten. Man mußte ja davon ausgehen, daß an Stelle von Alashan auf Terra ebenfalls ein Faktorelement stand, wahrscheinlich mit der Burg der Dscherro darin. Vielleicht hatten sich sogar weitere Faktorelemente gebildet - niemand wußte das genau. Waren die Faktordampf-Barrieren auf Terra nun auch gefallen? Standen sie länger?
    Eine Antwort darauf wußte mangels Vergleichsmöglichkeiten keiner. Die Syntronik errechnete eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Faktordampf-Barrieren zu ganz verschiedenen Zeiten fallen mußten. Man mußte sich ohnehin wundern, daß sie so lange existiert hatten, ohne daß ihnen zusätzliche Energie zugeführt worden war. „Sie haben wahrscheinlich über Wochen hinweg ihren Energiehaushalt an die Umgebung angeglichen", vermutete ein Energetiker im TLD-Tower, und diese Ansicht setzte sich durch. „Wir konnten das nicht ausmessen, weil die Angleichung zu gering war. Zuletzt ging es rasend schnell und das wird bei jedem Faktorelement völlig anders sein."
    Keiner wußte, ob er recht hatte. Aber die These klang vernünftig genug, um die meisten Wissenschaftler zu überzeugen.
    Die TLD-Chefin sah das Ganze eher aus einer menschlichen Perspektive. „Jetzt werden sie alle sagen, sie hätten es gewußt", war de Moleons erste Reaktion auf die neue Situation. „Ich hätte nie gedacht, daß es so schnell gehen würde. Daß es irgendwann passieren könnte, war klar."
    „Vielleicht ist es so besser für uns", sagte Alaska zu ihr. „Denn jetzt sind wir zum Handeln gezwungen. Die falschen Hoffnungen sind begraben, wir können endlich konkrete Pläne für die Zukunft schmieden."
    Wenn Gia de Moleon das als Vorwurf auffaßte, dann zeigte sie es nicht.
    Sie schrie erst auf, als das Beben begann.
     
    *
     
    Es war nur kurz und nicht so heftig, wie sie das im ersten Moment befürchtet hatten. Das Beben dauerte knapp zwei Minuten, dann war alles schon wieder vorbei. In Alashan, so stellte sich schnell heraus, waren kaum ernsthafte Schäden entstanden, und die Wissenschaftler waren rasch mit einer Erklärung zur Stelle. Die unterschiedliche Beschaffenheit von Thorrim- und von Terra-Boden, so sagten sie, müsse sich erst einander angleichen. Mit weiteren leichten Erdstößen sei also zu rechnen.
    Unangenehmer und weitaus bedrohlicher für die Versorgung des Stadtteils war, daß nun, nach der Auflösung, die Wasserrohre von Alashan auszulaufen begannen, die bislang durch die Faktordampf-Barriere nach außen hin abgedichtet gewesen waren. Es dauerte im allgemeinen Durcheinander wertvolle Minuten, bis sie an den Knotenpunkten, die dem Rand des ehemaligen Faktorelements nahe waren, per Fernsteuerung geschlossen werden konnten. Die durch Alashan fließenden Gewässer, die normalerweise in den Goshun-See gelangten, hatte man schon vor Wochen reguliert.
    Die anfangs unterschiedlichen Luftdrücke hatten sich per Diffusion ohnehin schon einander angeglichen. Allerdings wehte nach einigen Stunden bereits ein ungewohnter, süßlicher Geruch durch Alashan.
    Viel wichtiger waren die psychologischen Konsequenzen. Alashan und seine Bürger fanden sich von einer Stunde zur nächsten in einer völlig neuen Lage wieder. Jetzt wußte jeder, ob er es bereits vorausgesagt hatte oder noch zu den Hoffnungsträgern gehört hatte: Da die Faktordampf-Barriere nicht mehr existierte, gab es keine Rückkehr nach Terrania mehr. Man war nun endgültig auf Thorrim gestrandet - 23,5 Millionen Lichtjahre von zu Hause weg.
    Die zweihunderttausend Bewohner des Stadtteils waren tatsächlich in der Rolle von Kolonisten, die sich in einem entlegenen Sektor des Universums zu behaupten hatten, in einer fremden Galaxis ganz auf sich selbst gestellt.
    Die Menschen standen überall auf den Straßen und Plätzen und diskutierten aufgeregt miteinander.

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