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192 - Nah und doch so fern

192 - Nah und doch so fern

Titel: 192 - Nah und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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dünn.
    Der Daa’mure lag auf den Knien.
    »Versuch nie wieder, mich zu demütigen!«, warnte sein Schüler.
    (Du kannst gut mit Waffen umgehen!) Grao’sil’aana schlug die Klinge mit der bloßen Hand von seinem Hals weg. Er zuckte zusammen, fauchte ärgerlich. Dampf schoss aus einer Schnittwunde auf dem Handrücken. Unter den kühlenden Schuppenplättchen war sein Körper glutheiß, wie bei allen Daa’muren.
    »Das konnte ich schon immer. Es hat nur keiner erkannt, weil ich mit Stöcken üben musste. Nuntimor war mir zu schwer.« Der junge Mann rammte sein Schwert in den Boden.
    »Warte, ich helfe dir!«
    Grao’sil’aana zog die Brauen hoch. (Danke, nicht nötig), meinte er verwundert. (Ich kann meinen Körper selbst heilen.)
    »Das weiß ich, Grao. Aber ich will was ausprobieren.«
    Suchend wanderte Daa’tan ein paar Schritte fort, den Blick am Boden. Er fand ein Blatt, das noch lebte – der Wind hatte es gepflückt –, und hob es auf. Er trennte ein Stück ab, das auf Grao’sil’aanas Wunde passte.
    Der Daa’mure verfolgte das Ganze schweigend. Was er dachte, ließ er sich nicht anmerken.
    Daa’tan presste einen Blutstropfen aus seiner eigenen lädierten Hand. Den verrieb er auf dem Blatt, dann legte er es über den dampfenden Schnitt in der Daa’murenhaut.
    Seltsame Dinge geschahen. Das Blatt verlor alle Farbe, alle Adern, wurde dünn wie Haut. Man konnte zusehen, wie sie mit Grao’sil’aanas Wunde verschmolz. Innerhalb kürzester Zeit war die Verletzung verheilt.
    (Gut gemacht), lobte Grao’sil’aana und riss die Pflanzenhaut wieder ab.
    »He!«, rief Daa’tan empört. »Warum hast du das getan?«
    (Weil unsere Struktur eine andere ist. Die Haut wäre ohnehin abgestoßen worden.) Grao’sil’aana verschob seine Schuppen, schloss die Verletzung und stand auf. (Aber es war eine aufschlussreiche Demonstration. Du weißt, was dieses Können bedeutet?)
    »Ich bin unsterblich.«
    Der Daa’mure seufzte. (Sobald du es schaffst, über das eigene Ego hinaus zu denken, sprechen wir das Thema noch mal an. Übrigens: Deine Gedankenblockade vorhin war nahezu fehlerfrei! Dir ist aber klar, dass ich sie jederzeit hätte durchdringen können?)
    »Ja.« Daa’tan hockte sich hin und griff nach der aufgespießten Malala-Keule am Boden, die Grao’sil’aana aus der Hand gefallen war. Er wischte den Sand ab, zupfte ein paar Halme weg und hielt sie erneut in die Flammen. Er hatte solchen Hunger!
    (Und? Wirst du mir jetzt sagen, warum du in den letzten Tagen deiner Wachstumsphase nicht mit mir gesprochen hast?
    Du bist seit deinem Erwachen unerklärlich aggressiv. Was ist los?)
    Der Neunzehnjährige zögerte. Als er unter der Erde gelegen hatte, hatte er nach seiner Herkunft gefragt und erfahren, dass er ein Zufallsprodukt war. Ungeplant, nicht gewollt, nur eine Laune des Schicksals. Das traf ihn zutiefst. Von wegen: Du bist etwas Besonderes! Er wäre nie entstanden, wenn Aruula sich nicht unter dem Einfluss einer mutierten Pflanze mit Mefju’drex vereinigt hätte. Wie auch immer das vor sich ging.
    (Ich könnte dir beschreiben, was Primärrassenvertreter tun, wenn sie sich paaren.)
    Daa’tan fuhr hoch. »Du hast mich belauscht!«
    Grao ging nicht auf den Vorwurf ein. (Ich muss dich allerdings warnen: Es wird dir den Appetit verderben! Ihre Handlungen sind primitiv, abscheulich und zudem noch von temporärem Orientierungsverlust überschattet. Du glaubst nicht, an welchen Stellen sie sich gegenseitig nach primären Geschlechtsmerkmalen absuchen! Laut und schmatzend!) Unschlüssig blickte Daa’tan auf sein Essen, auf Nuntimor und wieder zurück. Er hatte große Lust, sich erneut mit Grao’sil’aana anzulegen. Doch irgendwie interessierten den jungen Mann diese primitiven, abscheulichen Handlungen, von denen er so wenig wusste.
    Zu wenig, entschied er und forderte den Daa’muren auf:
    »Erzähl mal!«
    ***
    Gestern Nachmittag, am Uluru
    Brütende Hitze lag über der Ebene. Die Menschen litten, und so manches Stoßgebet erreichte den gleißenden Himmel, dass es doch bald Abend werden möge.
    Aus dem Savannengras in der Ferne kam ein Trupp bewaffneter Anangu. Sichtlich widerwillig setzten ihre Mammutwarane einen Fuß vor den anderen. Es war zu heiß, um sich zu bewegen. Viel zu heiß!
    Zwischen den Riesenechsen und den dunkelhäutigen Uluruwächtern trottete ein Clan des Mischvolks dahin, erschöpft und von Staubwolken umhüllt. Ihr fettleibiger Anführer fehlte: Yangingoo hatte den Gewaltmarsch durch die Hitze

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