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192 - Nah und doch so fern

192 - Nah und doch so fern

Titel: 192 - Nah und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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von diesem undankbaren Halbstarken Alter Mann genannt zu werden?
    (Ich richte doch tatsächlich meine Situationsanalyse an menschlichen Parametern aus), ärgerte sich Grao’sil’aana und ergänzte wütend: (Egal!)
    Undaa’murische Emotionen hin oder her, es änderte nichts an der Tatsache, dass sich hier plötzlich die Rangordnung verschob, und zwar auf inakzeptable Weise! Daa’tans Position musste ihm unmissverständlich vor Augen geführt werden!
    Eine Unterwerfungsgeste schien angebracht.
    Ihm fiel Daa’tans respektloses Benehmen in Malaysia ein.
    Damals hatte er den Zwölfjährigen mental gezwungen, sich selbst zu ohrfeigen. Doch das war nicht mehr opportun.
    Grao’sil’aana nahm Daa’tan ins Visier. (Auf die Knie!), befahl er.
    Ein Ruck ging durch Daa’tan, als die Forderung sein Bewusstsein traf, statt der üblichen synaptischen Verbindungen. Grao’sil’aana hatte mit Absicht auf eine Mentalmanipulation verzichtet. Es wäre kaum zweckdienlich gewesen, Daa’tan wie eine Marionette zu bewegen. Er sollte schließlich gehorchen und nicht umfallen.
    Doch er tat es nicht! Weder das eine noch das andere! Wenn am Wirtskörper des Daa’muren Nackenhaare gewesen wären, hätten sie sich gesträubt. Was war das? Wieso stand sein Schützling noch? Grao’sil’aana versuchte es erneut.
    (Auf die Knie!)
    »Nein!«, sagte Daa’tan mit dieser neuen, gewöhnungsbedürftigen Stimme.
    (Sofort!)
    »Ich denke nicht daran!« Schweiß glänzte auf der Stirn des jungen Mannes. Seine Beine knickten ein, wieder und wieder, doch er hörte nicht auf, Widerstand zu leisten.
    Grao’sil’aana war ein erfahrener Sil und geschult darin, den Willen anderer zu brechen. Er verstärkte die Intensität seiner Bewusstseinsberührung. Diese Art der mentalen Usurpation verursachte körperliche Schmerzen, ähnlich einer äußerst starken Migräne. Daa’tan musste kapitulieren. Es war nur eine Frage der Zeit.
    Der Neunzehnjährige ballte seine Hände so fest, dass sich die ungepflegten Fingernägel in seine Handflächen bohrten.
    Blut tropfte herunter.
    (Auf die Knie!), forderte der Daa’mure erbarmungslos.
    »Nein!« Daa’tans Augen waren nur noch Schlitze. Tränen schimmerten darin.
    Grao’sil’aana wusste, dass es vernünftig gewesen wäre, aufzuhören. Schließlich hatte sein Gegner ja keine wirkliche Chance. Doch er konnte es nicht! Der richtige Zeitpunkt war überschritten, und plötzlich ging es nicht mehr um Vernunft.
    Nur noch um Macht. So schleuderte er Daa’tan eine volle Ladung daa’murischer Suggestion entgegen; mit allem, was dazu gehörte. Daa’tan musste glauben, dass sich sein Kopf bis zum Platzen mit einer fremden Substanz füllte, die nur dann wieder verschwinden würde, wenn er gehorchte.
    (Widerstand ist zwecklos! Begreifst du das endlich? Auf die Knie!)
    Daa’tan drückte gepeinigt seine Fäuste gegen die Schläfen und keuchte: »Du kannst mich töten, aber du zwingst mich nicht hinunter! Niemals!«
    Er weinte vor Schmerz; lautlos, mit zusammengepressten Lippen. Doch das waren keine Kindertränen mehr! Vor Grao’sil’aana stand ein erwachsener Mann, der vergebens darum kämpfte, seine Gefühle noch irgendwie unter Kontrolle zu bekommen. Es war ein so bitterer, bewegender Anblick, dass sich Grao’sil’aana einen Moment davon erschüttern ließ.
    Als er danach versuchte, wieder in Daa’tans Bewusstsein zu dringen, stieß der Daa’mure an eine Mauer.
    Du kriegst mich nicht! dachte Daa’tan, während er eine mentale Blockade nach der anderen aktivierte. Systematisch schirmte er seine Gedanken ab. Diese Fähigkeit hatte bisher in ihm geschlummert, zusammen mit einer weiteren, und sie entfaltete sich überraschend leicht.
    »Mir scheint, du hast dazugelernt! Das ist nutzbringend! Nun sollten wir uns wieder versöhnen«, hörte er Grao’sil’aana sagen.
    »Sicher.« Daa’tan fuhr sich mit dem Ärmel durchs Gesicht und griff nach dem Schwert. »Aber vorher klären wir noch was.«
    Er war ein Kind der Dreizehn Inseln, das merkte man wie nie zuvor. Furchtlos stand Aruulas Sohn im Schein des Lagerfeuers, mit ungebändigtem Haar und offenem Blick.
    Nuntimor sang geradezu, als er es um seine Hand wirbelte, nachgriff – und zuschlug.
    Grao’sil’aana ließ sich fallen. Etwas anderes blieb ihm nicht übrig, um dem Schwert zu entrinnen. Die beidseitig scharfe Klinge fauchte über seinen Kopf hinweg, kam zurück. Daa’tan drückte sie ihm flach auf die Schulter, unmittelbar am Halsansatz, und lächelte

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