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193 - Kurs in den Untergang

193 - Kurs in den Untergang

Titel: 193 - Kurs in den Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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wollte an Land kein Niemand sein. Wer in einer Wohnmaschine aufwuchs und mit Aufzügen fuhr, empfand es als Rückschritt, in einem Urwald-Pfahldorf über Hühnerleitern zu klettern. Nun gut, die Aufzüge hatten sich auch erledigt…
    Die meisten an Bord geborenen Offiziere gingen kein Risiko ein: Sie wollten das Gewohnte, versagten sich dem Neuen.
    Vielleicht waren sie auch einfach nur feige.
    Ibrahim seufzte. Er wäre gern an Land gegangen. Die Enge an Bord erdrückte ihn. Er wäre gern mal eine Woche allein gewesen, um zu erfahren, wie es war, wenn man nicht an jeder Ecke gegen jemanden prallte.
    »Oh, Captain! Verzeihung!« Homer Quick, ein behelmter MP-Sergeant, stand vor ihm stramm und salutierte. Er war plötzlich aus dem Nebel aufgetaucht und wirkte ebenso erschreckt wie sein Captain.
    »Schon gut«, sagte Ibrahim. »Ein Soldat entschuldigt sich nicht.« Er zwinkerte Quick zu, der nun auch noch die Hacken zusammenknallte.
    »Yes, Sir, Captain.« Quick schaute sich unbehaglich um.
    »Bin etwas nervös, Sir – wegen dem Nebel.«
    »Wegen des Nebels«, murmelte Ibrahim. Und dann: »Ach, ist doch scheißegal.« Er machte Quick den Weg frei, und der Sergeant setzte seine Patrouille fort. Er war hässlich und bewegte sich wie ein Reptil. Ibrahim fragte sich, was der Mann zu McNamaras Zeiten hier getan hatte. Vermutlich war er da erst sechzehn oder siebzehn gewesen.
    Zu McNamaras Zeit hatten über siebentausend Menschen auf der HOPE gelebt. Ein Teil von ihnen unter schrecklichen Bedingungen. Das Schiff war für eine Besatzung von 5180 Mann gebaut worden. Ein Teil der Mannschaft – darunter Ibrahim und viele andere, die gegen McNamaras autoritäres Regime aufgestanden waren – hatte unter Deck dahinvegetiert.
    Nach dem spektakulären Abgang des Kommandanten hatten Tausende die Chance genutzt, ihr Glück an Land zu suchen.
    Und das war gut gewesen, denn das, was siebentausend Mann brauchten, konnte man auf dem Schiff weder regelmäßig produzieren noch erwirtschaften.
    Ja, auch Jack Ibrahim wäre gern an Land gegangen. Aber nun hatten seine Freunde und er die Verantwortung für eine Kampfmaschine, mit der man die Zukunft der Welt bestimmen konnte. Oder wie Commander Wilkinson es ausdrückte: »Man kann nicht einfach irgendeinem Tropf die Verantwortung für einen Atomreaktor aufbürden.«
    Inzwischen stand der Atomreaktor still, aber diese Entwicklung hatte man damals nicht ahnen können. Nun fuhr die HOPE, den Launen des Windes und der Strömung ausgesetzt, mittels einer abenteuerlichen Segelkonstruktion übers Meer. Alle wussten, dass dies der Weisheit letzter Schluss nicht war: Die Ingenieure arbeiteten rund um die Uhr an der Verbesserung des Systems.
    Manche Dinge aber konnte man nicht verbessern: Ohne Strom gab es keine Nachrichtentechnik. Läufer waren wieder gefragt. Man hatten neu lernen müssen, sich mit Flaggensignalen zu verständigen. Wer dienstlich von A nach B musste, musste gut zu Fuß sein. Die Schiffsführung zitterte täglich vor festen oder sich bewegenden Hindernissen, denen man nicht früh genug ausweichen konnte. Kursänderungen dauerten ewig. Die einst die Wogen durchpflügende HOPE war eine lahme Ente geworden.
    Eine Bleiente.
    Zudem mangelte es an allem – vorrangig an Trinkwasser und Lebensmitteln, die der Mensch brauchte, damit ihm die Zähne nicht ausfielen. Mangel erzeugte Unzufriedenheit.
    Skorbut erzeugte Konflikte. Leute, die ihre Rationen nicht einteilen konnten, schauten mit scheelen Blicken auf jene, die es konnten – als hätten diese größere Portionen erhalten.
    Die Stimmung war gereizt. Die MP hatte gut zu tun. Man prügelte sich. Die Unzufriedenen rotteten sich zusammen und brüteten. All dies war nicht gut. Wenn McNamaras Erben die Gunst der Stunde nutzten, um gegen den Führungsstab zu hetzen, konnte es sich zu einem Flächenbrand auswachsen.
    »Guten Abend, Jack.«
    Ibrahim schaute auf. Die sich aus einer Gasse lösende und mit katzenhaften Bewegungen nähernde Gestalt war Dana Wilkinson, der Erste Offizier. Sie war nett, klein, drall und blond. Für eine Soldatin war ihr Haar zu lang, aber ihm gefiel es. Außerdem wusste er nicht genau, ob sie noch Soldaten waren. Den Staat, für den ihre Eltern einst in See gestochen waren, existierte nicht mehr. Außerdem war es früher nicht üblich gewesen, Schiffskommandanten zu wählen.
    »Guten Abend, Dana. Wie ist die Lage?« Ibrahim bemühte sich, einen gelassenen Eindruck zu machen. Aber bei Dana Wilkinson kam er damit nicht

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