Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
195 - Verloren im Outback

195 - Verloren im Outback

Titel: 195 - Verloren im Outback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel und Ronald M. Hahn
Vom Netzwerk:
genauer: an etwas, das aussah wie ein Pfahl. Graubraun und am oberen Ende verdickt, als hätte jemand zerlumpte Tücher darüber gehängt.
    Es war so still in Hollow Creek. Mondlicht streichelte die Kukka’bus, floss über den Zaun, das Gras und Daa’tans schwarzes Haar. Dann erreichte es den vermeintlichen Pfahl.
    Langsam spannten sich die Knittertücher auf, bis ein Schirm aus ihnen wurde. Er gehörte einem Lebewesen, das perfekt in die postapokalyptische Welt der Monster und Mutationen passte, obwohl es schon lange vor »Christopher-Floyd« entstanden war. Sein Zentrum lag tief unter der Stadt. Von dort bildeten uralte, fadenförmige Ausläufer einen Hexenring (kreisförmiges Wachstum von Ständerpilzen, z.B.
    Champignons, unter Tannen) , der sämtliche Gebäude umschloss.
    Immer bei Vollmond wuchs am Rande von Hollow Creek ein gigantischer Pilz herauf, stets an einer anderen Stelle, nur für diese eine Nacht. Die Existenz des Hexenrings wurde nie entdeckt: Ein einzelner graubrauner Pfahl fiel nicht auf in einer Stadt aus graubraunem Holz mit ebensolchen Zäunen an jeder Ecke. Hin und wieder gab es Augenzeugen für den rätselhaften nächtlichen Besucher, der bereits im Morgengrauen wieder zerfiel. Steve Logan zum Beispiel, den Gründer der Stadt. Aber er und die anderen verschwanden alle, ohne etwas zu erzählen.
    Der Hexenring, ein entarteter Parasolpilz, tat das, was alle Pilze tun. Er holte sich Nahrung aus dem Erdreich, unter anderem Glykogen, ein rasch mobilisierbares Reservekohlenhydrat aus Muskeln und Leber. Dank der Schafhaltung mit ihren unvermeidlichen Verlusten war der Boden von Hollow Creek damit gut gesättigt. Allerdings nicht gut genug für ein derart großes Lebewesen wie den Hexenring.
    Um die Menge aufzustocken, trieb er Fruchtstände aus, die psychotrope Substanzen enthielten.
    Einer davon reifte gerade im Mondlicht.
    Daa’tan machte Schmatzgeräusche wie ein Baby, als er einen Grashalm fort wischte, den der Nachtwind ihm kitzelnd an die Nase stieß. Derselbe Wind brachte den großen Pilzhut über ihm dazu, Millionen von Sporen abzustoßen. Sie rieselten aus der blättrigen Unterseite auf den schlafenden jungen Mann hinab. Sacht wie Feenstaub.
    Daa’tan spürte nichts davon, konnte auch nicht wissen, dass er mit den winzigen Keimen ein Halluzinogen einatmete.
    Deshalb hatte er keine Zweifel, als es zu wirken begann und ihm vorgaukelte, er würde erwachen. In Wahrheit hing er fest – in einer düsteren Welt zwischen Tag und Traum. Dort sah er sich um, während er mit geschlossenen Augen am Boden lag.
    Auch die Kukka’bus wurden von den Sporen eingenebelt und flatterten vom Zaun herunter. Inzwischen stand der Mond fast senkrecht über der Geisterstadt. Sein unwirkliches, milchiges Licht erhellte im Reich des Hexenrings einen schaurigen Tanzboden, auf dem der Reigen des Todes begann.
    Wieso bin ich noch hier? Ich müsste längst unter der Erde sein, dachte Daa’tan. Unbewusst hob er sich auf die Knie, krallte seine Hände ins Gras und begann es auszureißen.
    Keinen Meter von ihm entfernt hackten die Kukka’bus auf den Boden ein. Mechanisch, ohne die Augen zu öffnen.
    Wenn die Sonne aufgeht, werde ich vertrocknen wie ein Wurm! Daa’tan glaubte an seinem Körper entlang zu blicken.
    Er war nackt, rosafarben und geringelt. Ach richtig: Ich bin ein Wurm!
    Es erschreckte ihn nicht, ein Wurm zu sein. Er empfand es als normal, genau wie das Bedürfnis, im Boden zu verschwinden. Daa’tan riss und zerrte an den Grasbüscheln, warf sie bei Seite. Schon fiel das Mondlicht auf eine kahle Stelle. Steinchen waren darin zu sehen, und Wurzelfasern.
    Wieso grabe ich eigentlich mit Händen, obwohl ich gar keine habe? Daa’tan lachte im Traum, wollte diese Unerklärlichkeit ignorieren. Doch es gelang nicht ganz.
    Irgendwo aus den Tiefen seines vernebelten Bewusstseins raunte ihm eine Stimme zu, dass etwas falsch war. Trotzdem grub er weiter. Dem Verderben entgegen.
    Die Kukka’bus mussten eine ähnliche Halluzination haben, denn auch sie drängte es danach, in den Boden zu gelangen.
    Ihre Schnäbel waren für diese Aufgabe besser geeignet als die Hände des jungen Mannes. Und plötzlich erreichte einer das Ziel.
    Aus dem nachtfeuchten Erdreich schimmerte ein Myzel.
    Man konnte es für ein faseriges Wurzelstück halten, doch das war es nicht. (Myzelien sind die Gesamtheit eines Geflechts fadenförmiger Zellen, aus denen ein Pilz besteht – der eigentliche Pilz, nicht die umgangssprachlich als solcher

Weitere Kostenlose Bücher