1981 - Richard
meisten Stunden gebe ich zwar am Nachmittag, was wegen Marc nicht ganz so günstig ist, aber er wird immer selbstständiger, so dass ich ihn auch mal am Nachmittag alleine lassen kann. Wenn ich Glück habe, bekomme ich aber bald eine Berufsschulklasse und der Unterricht ist dann auch vormittags.«
»Das hätte ich nie gedacht, du als Lehrerin«, sagte Florence und schüttelte den Kopf.
»Bin ich ja eigentlich auch nicht. Ich beherrsche den Stoff und kann ihn wohl einigermaßen gut rüberbringen und außerdem sind meine Schüler ja auch keine Kinder mehr.«
»Und was waren noch einmal deine Fächer?«, fragte Florence.
»B etriebswirtschaftslehre , Rechnungswesen und ich habe auch einen Französischkurs. Das war überhaupt der Grund, weswegen ich den Job bekommen habe. Sie suchten Leute, die auf Französisch und Englisch unterrichten können.«
»Na, das ist ja dann schon toll, wenn es dir auch Spaß macht.«
Colette nickte und nahm noch einen Schluck Kaffee. »Wie sieht es bei dir zu Hause aus?«, fragte sie, nachdem sie die Tasse wieder abgesetzt hatte. »Was machen deine Eltern und dein Bruder mit seiner Familie?«
»Meinen Eltern geht es noch recht gut. Mein Vater ist im Januar fünfundsiebzig geworden. Diesmal musste er feiern. Wir hatten viele Gäste und fast zwei Wochen volles Haus. Wer uns von außerhalb besucht, für den lohnt es meistens nicht, nur ein paar Tage zu bleiben. Mein Onkel ist extra aus San Francisco her geflogen und es sind auch viele Freunde aus Tahiti gekommen.«
»Wie weit ist es von Tahiti zu euch auf die Marquesas? Ich weiß nur noch, dass wir damals endlos lange über das offene Meer geflogen sind, in dieser komischen kleinen Propellermaschine.«
Florence lachte. »Nach Tahiti sind es schon gut tausendfünfhundert Kilometer und dazwischen ist wirklich nicht viel. Bei uns ist das Meer eben überall und das Land nirgends.«
Colette überlegte. »Das sind schon ganz schöne Strecken, tausendfünfhundert Kilometer von hier in Richtung Norden und du bist irgendwo in Schweden oder Norwegen und in der anderen Richtung landest du vielleicht schon in Afrika.«
»Wenn mein Bruder seinen Plan wirklich in die Tat umsetzt und mit seiner Familie nach Tahiti zieht, dann wird es für meine Eltern nicht leicht, ihre Enkel regelmäßig zu sehen«, sagte Florence nachdenklich.
»Du hattest davon geschrieben«, sagte Colette. »Ich erinnere mich. Er wollte eine Apotheke in Papeete übernehmen.«
Florence nickte. »Ja, und auf dem Geburtstag hat sich dieses Thema noch ein bisschen mehr verdichtet. Er hat mit einem Freund meines Vaters gesprochen, der diese Apotheke besitzt und der sich gerne zur Ruhe setzen möchte. Es wird wohl Ende des Jahres über die Bühne gehen, so wie es aussieht.«
»Seit wann lebt ihr eigentlich auf den Marquesas?«, fragte Colette. Ich kann mich irgendwie daran erinnern, dass du einmal erzählt hast, dein Vater stamme aus Brest.«
»Oh, da liegst du falsch, dass war nicht mein Vater, sondern mein Urgroßvater«, erklärte Florence. »Das ganze ist schon Geschichte, tiefste Familiengeschichte. Meine Eltern und alle meine Großeltern sind auf Tahiti geboren. Mein Urgroßvater war der Einwanderer aus Brest. Meine Urgroßmutter stammte aus Straßburg, sie haben sich auf Tahiti kennengelernt. Meine Urgroßeltern müssen so um die Jahrhundertwende in die Südsee gekommen sein. Mein Urgroßvater hat auch die Apothekertradition der Familie Uzar begründet. Er war schon ausgebildeter Apotheker, als er sich in Papeete niederließ. Er hatte aber erst eine Art Kolonialwarengeschäft, das wohl sehr gut lief. Er hat in seiner Anfangszeit sogar auf den Marquesas gehandelt. Dann hat er sich an seine beruflichen Wurzeln erinnert und eine der ersten Apotheken auf Tahiti eröffnet, zunächst noch in den Räumen seines Kolonialwarengeschäfts. Später hatte er zeitweise sogar drei Geschäfte auf Tahiti besessen. Er hatte nur einen Sohn, dafür aber drei Töchter. Mein Großvater hat dann eine der Apotheken weitergeführt, zusammen mit seinen beiden Söhnen. Mein Onkel ist zunächst auf Tahiti geblieben. Er ist dann aber nach Kalifornien ausgewandert, als mein Großvater gestorben ist. Mein Vater hatte sich damals schon auf den Marquesas umgesehen und als das Krankenhaus ausgebaut wurde, hat er dort seine eigene Apotheke eröffnet. Du weißt ja, ich bin auf den Marquesas geboren.«
»Dann steckt also eine Menge Tradition in eurer Familie, Giftmischertradition«, spaßte Colette. »Was
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