1981 - Richard
1 Prolog
Er saß hoch oben auf seiner Veranda und aß Brei aus einer Schüssel. Seine helle Hose war schmutzig und voller Flecken, sein Hemd hatte Schweißränder, sein Gesicht sah frisch aus, seine Haare waren noch nass. Er war erst vor wenigen Minuten von dem kleinen Teich gekommen. Er war geschwommen, vorsichtig. Es war eine Wohltat, auch gegen die Hitze des Tages.
Sie ging zu Fuß über den ausgetretenen Pfad, der von der Straße kam. Sie musste aufpassen, dass sie mit ihrem Kleid nicht im Gestrüpp hängenblieb. Sie trug das braune Kleid, in dem er sie schon am Strand gesehen hatte. Ihre dunkelblonden Haare waren hochgesteckt, von einer silbernen Spange gehalten. Einige Strähnen hatte sie nicht bändigen können, sie hingen ihr wirr vor der Stirn. Ihren Hut hatte sie abgenommen. Dennoch war ihr Gesicht blass, als wenn sie sich immer sorgfältig vor der Sonne schützte. Den Hut hielt sie in der rechten Hand und wedelte sich damit Luft zu.
Er beobachtete sie, wie sie auf jeden Schritt achtete. Sie hatten schon öfter mit einander gesprochen, natürlich am Strand und auch einmal in der Siedlung, vor der Polizeistation. Sie hatte sein Haus fast erreicht. Er stellte die Schüssel auf den Boden und erhob sich von seinem selbstgeschnitzten Hocker. Sie blieb stehen, blickte nach oben und lächelte. Dann sah sie sich um. Hinter Bäumen wurden weitere Häuser sichtbar, Schweine durchwühlten das Erdreich, Hühner scharrten in der Nähe. Es roch nach Erde und nach Vieh. Der Boden war feucht. Es war hier anders als in der Siedlung, die eigentlich keine Siedlung mehr war, sondern immer mehr zur Stadt wurde. Unter ihren Schuhen bildete sich eine kleine Pfütze. In der Nacht hatte es wieder stark geregnet.
»Bonjour, Madame. Wie geht es den Ihren?«, sagte er und bot ihr mit einer Handbewegung an, auf die Veranda zu kommen.
Sein Haus war auf ein langes, schmales Podest gesetzt, das gut zehn Fuß über dem Boden schwebte. Unter dem Podest gab es einen Verschlag, in dem ein Karren stand. Sie zögerte kurz, trat dann aber doch an die steile Treppe, die hinauf zur Veranda führte. Sie hatte keine Mühe mit den schlecht gearbeiteten Stufen. Oben angekommen blickte sie sich noch einmal um. Hinter der Veranda schloss sich eine Hütte an. Sie blickte nur kurz hinüber. Er lächelt verlegen, drehte sich um und ging vorsichtig ein paar Schritte, um einen zweiten Hocker zu holen, der in einer Ecke der Veranda stand. Er humpelte wieder etwas stärker als sonst. Sie sah auf seinen verletzten Fuß, der mit einem schmutzigen Stück Stoff verbunden war. Er bot ihr den Hocker an, aber sie schüttelte den Kopf.
»Wie lange haben sie das schon? Ich kenne sie gar nicht ohne diesen Verband.«
»Es ist eine Geschichte, die ich Ihnen nicht erzählen kann«, sagte er bedächtig. »Es hat sich in den Kreisen zugetragen, in denen sie nicht verkehren, Madame. Entschuldigen sie, wenn ich nicht darüber spreche.«
Sie nickte. »Warum lassen sie ihre Verletzung nicht im Hospital versorgen?«
»Danke für ihr Mitgefühl. Ich bin schon öfter Gast bei den Herren und Damen der Kirche gewesen, doch momentan, wie soll ich es sagen, haben wir eine kleine Meinungsverschiedenheit, nichts Bedeutendes, das Übliche, wenn man mit einem Menschen wir mir zu tun hat.«
»Ich kenne nur die Geschichte mit Claverie, mit ihm haben sie doch Schwierigkeiten, dachte ich.«
»Schwierigkeiten mit Claverie.« Er lachte. »Ich glaube es ist ein Spiel. Ich spiele mit Claverie und er spielt mit mir, obwohl ich sagen muss, dass es mir manches Mal wehtut, wo es ihn einfach nur zu ärgern scheint, den Herrn Polizeiunteroffizier.«
»Ich hörte aber, sie setzen sich für die Menschen hier ein, obwohl ich es damit wohl beschönige. Sie wiegeln die Leute gegen die Obrigkeit auf. Die Kinder sollen nicht mehr in die Missionsschulen gehen und Claverie wird von Ihnen lächerlich gemacht, ist seine Reaktion da nicht verständlich?«
»Verständlich, wer versteht mich denn, oder die Menschen hier. Wir befinden uns nicht mehr im Mittelalter. Es muss keine Rasse mehr unterjocht oder bevormundet werden. Wenn dies hier einmal Frankreich ist, dann sind es französische Bürger, die hier vor ein Gericht gezerrt werden, wegen moralischer Nichtigkeiten. Natürlich kämpfe ich dagegen, aber Claverie, mit dem ist es noch wieder anders, denke ich. Er hält mich eben für unbequem und obszön, wie wohl die meisten, der so genannten zivilisierten Leute hier.«
»Obszön«, wiederholte sie.
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