1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
Anwendung kam, aber ich habe da meine Zweifel. Wer nämlich hat den Einigungsvertrag geschlossen? Das waren auf der einen Seite die Bundesrepublik und auf der anderen jene subversiven Kräfte, die bei uns ihr Unwesen getrieben haben. Folglich ist es sehr wohl das Tribunal der Sieger, vor das man uns zerren will. Und wenn die Bonner ins Feld führen, sie hatten das Staatsbürgerrecht der DDR niemals anerkannt und seien somit von jeher einer gesamtdeutschen Gerichtsbarkeit verpflichtet, dann zieht das Argument nur scheinbar, denn diese Verweigerung war sozusagen ihre Privatangelegenheit. Und noch etwas! Du hast«, er wandte sich an seinen Vorredner, »als du von Verfehlungen sprachst, den Schießbefehl, das Ausreiseverbot und den Freikauf von Insassen unserer Strafanstalten angeführt, um nur drei zu nennen. Mein lieber Fehrkamp, da bedarf es wohl einiger Korrekturen! Der Schießbefehl. Jeder Staat hat das Recht, seine Grenzen zu sichern, und nichts anderes haben wir gemacht. Das Ausreiseverbot. Es ist im Laufe der Jahre mehr und mehr gelockert worden, und wenn wir einzelnen Bürgern den Wunsch, in den Westen zu reisen, nicht erfüllt haben, so lagen dafür Gründe vor, die wiederum unsere Sicherheit betrafen. Und nun der Freikauf, den du Menschenhandel nennst! Es ging dabei um Personen, die unserem Staat Schaden zugefügt haben und die, wären sie bei uns auf freien Fuß gesetzt worden, weiteren Schaden angerichtet hätten. Wenn Westdeutschland sich zu diesen Elementen bekannte, sie unter Übernahme der entstandenen Unkosten zu sich holen wollte und wir uns damit einverstanden erklärten, dann war das unsererseits ein Entgegenkommen und zugleich ein humanitärer Akt. Bitte, Kamerad Fehrkamp, äußere dich dazu!«
Unter anderen Umständen hätte Horst Fehrkamp wohl kaum ein zweites Mal das Wort ergriffen, aber nun, da er ausdrücklich dazu aufgefordert worden war, kam er wieder nach vorn. Der Zweiundsiebzigjährige, der im Krieg ein Bein verloren hatte, bat diesmal um einen Stuhl, und jemand schob ihm den auch hin. Mit der Linken rückte er das kleine Tischpult zur Seite, sah Kopjella an und blickte dann in die Runde.
»Ja«, erklärte er, »ich werde mich dazu äußern, bitte euch aber, mich nicht noch einmal niederzuschreien. Wir sind, so war es vereinbart, zu einer offenen Aussprache zusammengekommen, und jeder hat das Recht, seine Meinung frei heraus zu sagen. Kamerad Kopjella, du scheust dich nicht, die Freilassung von Gefangenen gegen Geld einen humanitären Akt zu nennen. In meinen Augen ist dieser jahrelang zwischen uns und der BRD betriebene Handel etwas ganz anderes. Gewiß, der jeweils Betroffene hat davon profitiert, aber was steckte in Wirklichkeit dahinter? Wer jemanden einsperrt mit dem angeblichen oder meinetwegen sogar ehrlichen Ziel, ihn im sozialistischen Sinne zu erziehen – die Wärter in unseren Gefängnissen wurden ja tatsächlich als Erzieher bezeichnet –, dann aber plötzlich bereit ist, ihn gegen Zahlung eines Lösegeldes freizulassen, macht sich nachträglich zum Kidnapper. Freiheit gegen Bezahlung hat mit Humanität nicht das geringste zu tun. Daß andererseits die BRD auf einen solchen Handel einging, entsprach der Haltung von Familienangehörigen, die in der Regel bei einer Entführung ja auch bereit sind, die geforderte Summe zu zahlen. Es macht den Vorgang noch perfider und rückt ihn noch näher an den Tatbestand des Kidnapping heran, daß häufig genug ein unangemessen hohes Strafmaß festgesetzt wurde, damit die Lösegeldsumme entsprechend in die Höhe getrieben werden konnte. Von all diesen Machenschaften distanziere ich mich, hätte es längst tun sollen.«
Fehrkamp kehrte an seinen Platz zurück, und wenn es nach seiner ersten Rede Turbulenzen gegeben hatte, so herrschte jetzt betretenes Schweigen.
Aber dann trat Oberst Kornmesser, die Nr. l der HADEX, ans Pult. In seinen Ausführungen gab er Frank Kopjella recht und tadelte den alten Invaliden, nannte ihn einen Wendehals und sagte schließlich: »Kamerad Fehrkamp, wir müssen wissen, wie weit dein Gesinnungswandel reicht und ob er für die HADEX …«
»Keine Sorge!« rief Fehrkamp dazwischen. »Es betrifft nur mich. Ich werde mich stellen und für das, was ich getan habe, die Verantwortung übernehmen. Mehr nicht. Ihr könnt euch darauf verlassen, daß ich keine Namen nennen werde, und auch Begriffe wie RING und HADEX werden nicht über meine Lippen kommen.«
»Es gibt«, entgegnete der Oberst, »Methoden, mit
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