1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
deren Hilfe man jeden zum Reden bringen kann.«
»Die wurden in der DDR angewandt«, antwortete Fehrkamp, »aber nicht im heutigen Deutschland.«
»Hoffen wir, daß es so ist!« Der Oberst ging zum nächsten Punkt der Tagesordnung über.
Am Nachmittag wurde eine Pause eingelegt. Der Oberst, Kopjella und die ehemaligen Bezirksleiter Busch und Hoffmann verbrachten sie in einem Nebenraum.
»Also haben wir«, sagte der Oberst mit gedämpfter Stimme, »nun die Aufgabe, Fehrkamp … auf den richtigen Weg zu bringen. Ihr wißt, so etwas ist heute weitaus schwieriger, als es vorher war.«
»Aber wir können nicht umhin«, erklärte der Bezirksleiter Busch, ein fünfzigjähriger Sachse mit fast kahlem Schädel. »Die HADEX steht auf dem Spiel mitsamt allen Nestern.«
»Richtig«, stimmte Kopjella ihm zu, und dann fragte er: »Wer übernimmt es?«
»Ich finde«, meinte Busch, »das Los soll entscheiden.« Die anderen waren einverstanden.
Der Oberst riß vier Blätter aus seinem Notizbuch, malte auf eins ein Kreuz, faltete anschließend die spielkartengroßen Papierstücke mehrmals der Länge nach und legte sie in einen Aschenbecher, den er gleich darauf mit seiner rechten Hand zudeckte. Er schüttelte ihn und warf dann die vier Lose auf den Tisch, nickte seinen Gefährten zu.
Der Kahlkopf begann, nahm sich eins, danach sein Kollege, dann Kopjella. Der Oberst griff sich das letzte.
Kopjella ging ans Fenster, entfaltete sein Papier, langsam und mit ruhigen Bewegungen. Daß er dabei nicht ruhig war, verriet der Schweiß auf seiner Stirn. Diesmal ging es nicht darum, einen edlen Tropfen zu gewinnen oder ein Buch oder eine Reise. Diesmal war es das umgekehrte Prinzip: Die Nieten waren die Gewinne.
Schon als er das Los zur Hälfte geöffnet hatte, sah er das Kreuz zum Vorschein kommen.
6
Die Ziele waren diametral entgegengesetzt und das gleich auf zweifache Weise. Während der eine durch Losentscheid dazu bestellt war, nach Hamburg weiterzureisen und dort eine Spur zu beseitigen, würde der andere, um eine solche ausfindig zu machen, die Hansestadt verlassen.
Indes, viel Hoffnung hatte Paul Kämmerer nicht, daß Georg Schöller mehr zu sagen wußte als das, was er bereits mitgeteilt hatte. Trotzdem wollte er ihn ein zweites Mal besuchen, denn es konnte ja sein, daß der Mann Kenntnis von Ereignissen hatte, die nur deshalb nicht zur Sprache gekommen waren, weil er sie für unwichtig hielt, die aber ihm, Kämmerer, vielleicht weiterhalfen. An diesen Strohhalm klammerte er sich.
Es war früh am Morgen. Der Koffer war gepackt, der Frühstückstisch abgedeckt, die Küche aufgeräumt. Sein kleines Haus, an Hamburgs nördlichem Rand gelegen, hatte er, wie vor jeder Reise, in die Obhut von Frau Engert, einer Nachbarin, gegeben.
Er ging noch einmal ins Bad, prüfte vor dem Spiegel sein Gesicht. Die Schnitte, die er sich durchs Rasieren beigebracht hatte, waren zwar verheilt, aber er sah bleich und übernächtigt aus, hatte wohl zuviel geraucht und zuwenig geschlafen. Doch so kläglich sein Erscheinungsbild auch sein mochte, es stand in krassem Widerspruch zu der Energie, die ihn umtrieb, seitdem er beschlossen hatte, nach dem Major zu suchen, und seine Hände daraufhin, wie von einem Zauberstab berührt, ihr Beben eingestellt hatten.
Er war ein Mann ohne Auffälligkeiten, mittelgroß, schlank, graue Augen, braunes Haar. An diesem Morgen trug er eine anthrazitfarbene Flanellhose, schwarze Slipper aus weichem Leder, ein schwarzes Seidenhemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Die dunklen Farben hatten nichts mit seiner Trauer zu tun. Er zog sich oft so an, weil Maria immer gesagt hatte, sportliche Kleidung in Schwarz stehe ihm besonders gut. Anzüge trug er nur, wenn es unbedingt sein mußte.
Er hatte eigentlich, um bequem zu reisen, mit dem Zug fahren wollen, sich dann aber überlegt, daß es durchaus zu Situationen kommen konnte, in denen er einen bestimmten Ort innerhalb möglichst kurzer Zeit erreichen mußte. Oder vielleicht würde es darum gehen, ein Haus, einen Straßenabschnitt, ein Gelände zu observieren, und das ließ sich eben am besten vom eigenen Wagen aus durchführen.
Er schloß das Haus ab, holte den BMW aus der Garage, legte seinen Koffer auf den Rücksitz, stieg ein und fuhr los, kam zügig voran. Um neun Uhr war er bereits ein ganzes Stück über Stendal hinaus.
Obwohl es die Grenze nicht mehr gab und Sperranlagen und Wachttürme fast überall abgerissen worden waren, empfand er den Wechsel in die einstige DDR
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