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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zu befreien? Durch List, jetzt am hellen Tag? Unmöglich! Oder mit Gewalt? Auch nicht! Mein Henrystutzen hatte fünfundzwanzig Schüsse, mein Bärentöter zwei und jeder meiner beiden Revolver sechs. Das waren in Summa neununddreißig Kugeln. Und wenn eine jede ihren Mann zu Tode traf, was aber dann? Ein vergebliches Blutbad, weiter nichts als nachher mein sicherer Tod! Nein, auch das ging nicht!
    Da stand einer von den Abgesonderten auf, hob das Gesicht nach der Felsenhöhe empor, rief einen Namen und fragte dann:
    „Siehst du noch nichts?“
    Indem ich auch hinaufblickte, sah ich einen Beduinen, welcher hinter einem großen Stein auf der Lauer gelegen hatte. Er antwortete herab:
    „Keinen Menschen.“
    „So haben wir uns geirrt, und der Gefangene ist allein gewesen. Komm herunter, wir haben keine Zeit, länger zu warten; wir müssen fort, sonst kommen wir nicht bis zum Abend nach dem Bir Nadahfa.“
    „Was ist's? Was siehst du, Emir?“ fragte mein junger Begleiter leise. „Ich höre rufen.“
    „Steig ab, und kriech zu mir her; dann wirst du deinen Vater sehen“, antwortete ich ebenso mit unterdrückter Stimme.
    Er folgte meinem Geheiß. Als er Halef erblickte, wäre er am liebsten vorgesprungen, um zu ihm hinzueilen. Ich faßte ihn am Arme und raunte ihm warnend zu:
    „Still! Keine Übereilung! Du gehst nur selbst in das Verderben, ohne deinen Vater dadurch retten zu können!“
    „Aber du siehst ja, daß sie aufbrechen, daß sie fort wollen!“
    „Laß sie! Jetzt ist nichts zu tun. Wir müssen bis heut' abend warten.“
    „Bis heut' abend? Ist es da nicht zu spät?“
    „Nein. Mit Gewalt läßt sich gegen so viele Menschen nichts erreichen; nur List kann zum Ziel führen, und dazu ist die Nacht die einzige Zeit.“
    „Aber wenn sie meinen Vater bis dahin umbringen!“
    „Das fällt ihnen nicht ein. Über das Schicksal des Gefangenen kann nur die Dschema (Versammlung der Ältesten) bestimmen, und die dazu gehörigen alten Leute sind nicht mit hier. Du siehst, daß es lauter junge Krieger sind.“
    „Was mögen sie vorhaben? Ein Wanderzug ist es nicht, weil sie keine Frauen, Greise und Kinder mit haben. Sollte es ein Kriegsritt sein?“
    „Nein. Du wirst dort links die Kamele bemerken, welche mit Stricken und Palmenfasermatten hoch bepackt sind. Diese Stricke und Matten sollen zum Transport der Tiere und zur Verpackung der andern Beute dienen; es handelt sich also um einen Raubzug.“
    „Gegen wen?“
    „Das weiß ich nicht, hoffe es aber heut' abend zu erfahren.“
    „Von wem?“
    „Von den Scherarat selbst. Wir werden sie belauschen.“
    „Ihnen also bis zu ihrem Nachtlager folgen? O Emir, ich erfahre da, daß mein Vater recht gehabt hat, da er stets sagte, wenn man sonst nichts erlebe, so brauche man nur mit dir zu gehen, da seien ganz gewiß alle möglichen Taten und Abenteuer zu erwarten. Doch schau, wir müssen fort, schleunigst fort! Sie stehen im Begriff, ihre Tiere zu besteigen. Wenn sie hierher kommen, entdecken sie uns.“
    „Sie werden nicht hierher kommen, sondern das Wadi dort links durch die Seitenöffnung verlassen, weil sie nach dem Bir Nadahfa wollen.“
    „Woher weißt du das?“
    „Der Anführer sagte es vorhin, als er den Späher herunterrief. Dieser Brunnen liegt genau südwärts von hier, und die Öffnung zeigt nach dieser Richtung. Glücklicherweise kenne ich ihn genau.“
    „Warst du schon einmal dort?“
    „Nein; aber ich habe eine sehr eingehende Beschreibung von ihm und seiner Umgebung gelesen. Hamdani, ein alter arabischer Schriftsteller war dort und hat über ihn berichtet. Das ist zwar schon lange, lange her, aber in diesem Land verändern sich dergleichen Örtlichkeiten selbst im Verlaufe von Jahrhunderten so wenig, daß seine Schilderung höchst wahrscheinlich noch heut' zutreffen wird. Sieh, daß ich recht hatte! Sie ziehen fort, dort links hinein. Dein Vater ist auf sein Kamel gebunden worden. Er blickt hinter sich, denn er ahnt, daß wir uns hier versteckt befinden und die Scherarat beobachten. Wenn es ohne Gefahr geschehen kann, werde ich mich ihm zeigen, um ihn zu beruhigen.“
    Die Beduinen verließen das Wadi in der Reihenfolge, daß die Anführer, welche Halef zwischen sich hatten, die letzten waren. Noch kurz vor seinem Verschwinden hinter dem Felsen wandte er das Gesicht noch einmal zurück. Als ich sah, daß seine Begleiter dies nicht beachteten, sprang ich drei Schritte vor und hob die Arme; sein Auge fiel auf mich, und ich wich schnell wieder

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