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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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auf diese abgesehen haben?“
    „Ist das nicht leicht denkbar? Du hast doch gesehen und gehört, wie entzückt dieser sogenannte Kaßim Mirza von ihnen war. Wenn ihre Rachsucht sie antreibt, sich mit uns zu beschäftigen, so wird sich ihre Habsucht zu gleicher Zeit auf die Pferde richten. Wenn sie sich an uns rächen und dabei in den Besitz so wertvoller Tiere kommen können, haben sie ein doppeltes, anstatt ein einfaches Spiel gewonnen. Es versteht sich ganz von selbst, daß sie unterwegs einen solchen Plan viel leichter als in Bagdad ausführen können, und so haben wir heut mehr Veranlassung, als morgen, vorsichtig zu sein.“
    „Du denkst, daß wir morgen in Bagdad ankommen werden?“
    „Morgen mittag, wenn wir nicht durch ein unvorhergesehenes Hindernis aufgehalten werden. Wir werden heut an mehr bewohnten Orten vorüberkommen als bisher; das ist ein Zeichen von der Nähe der Kalifenstadt.“
    Was ich vermutet hatte, das geschah: Wir hatten kurz nach Mittag das Dorf Syndijeh beinahe erreicht, als wir die Perser hinter uns kommen sahen. Ihr Floß machte eine schnellere Fahrt als das unserige. Der ‚Vater der Gewürze‘ saß am Rand desselben und tauchte sehr fleißig die Hände in die Wellen, um sich das brennende Gesicht mit Wasser zu kühlen. Eine Viertelstunde später kamen sie an uns vorüber.
    Da stand er auf, streckte beide Fäuste gegen uns aus und rief:
    „Hättet ihr uns das Pulver nicht genommen, so wäre es jetzt um euch geschehen; aber wenn ihr uns heut auch entgeht, ich schwöre bei Hassan und bei Hussein, daß der Abgrund des Verderbens für euch offen bleibt!“
    Halef brachte es nicht über das Herz, zu dieser Drohung still zu sein; er antwortete hinüber:
    „Deine Rede macht uns lachen. Und wenn ihr tausend Zentner Pulver hättet, würden wir uns doch nicht vor euch fürchten. Oder bildest du dir ein, daß nur ihr allein schießen könntet? Wir haben auch Gewehre!“
    „Hat es jemals einen Giaur oder einen verfluchten Sohn der Sunna gegeben, welcher schießen und auch treffen kann?“ höhnte er herüber. „In kurzer Zeit werden eure Söhne und Töchter Waisen und eure Weiber Witwen sein. Allah verdamme euch und sie!“
    Hanneh eine Witwe, Kara Ben Halef ein Waisenknabe und beide von Allah verdammt, das erboste den kleinen Hadschi so gewaltig daß er seine Stimme zur größten Stärke erhob, um die Drohung des Feindes zu übertrumpfen:
    „Schweig! Du sprichst mit dem Maul der Dummheit und mit der Zunge des Unverstandes. Wenn unsere Gewehre knallen, so werden alle eure Väter, Ahnen, Großväter und Urahnen zu Waisen und alle eure Kinder, Enkel und Nachkommensenkel zu Witwen werden; eure Freunde werden sterben, eure Verwandten und Bekannten werden untergehen, eure Städte und Dörfer aussterben, und das ganze Fars (Persien) wird ein Schlachtfeld bilden, auf welchem nur noch Witwen und Waisen umherirren, um die von uns Besiegten zu beweinen und die von uns Erschlagenen zu bejammern. Zwischen den Ufern der Ströme wird euer Blut dem Meer entgegenfließen, und die Winde werden die von uns aus ihren Körpern getriebenen Seelen wie Staub durch die Lüfte jagen. Ihr seid ohnmächtige …“
    Hier brach er plötzlich ab, wendete sich zu mir und fügte mit gewöhnlicher Stimme und in bedauerndem Tone hinzu:
    „Wie schade, Effendi! Es ist wirklich jammerschade!“
    „Was?“
    „Daß sie mich nicht mehr hören können; sie sind leider schon zu weit fort!“
    „So mach den Mund zu, und sei still!“
    „Still? Hätte ich etwa nichts sagen sollen? Bedenke, daß sie mich zum hinterlassenen Gatten meiner Witwe und zum abgeschiedenen Vater meines Waisensohnes machen wollten! Das konnte, das durfte ich mir nicht gefallen lassen! Du weißt, daß ich den Tod nicht fürchte und niemals Angst vor ihm gehabt habe; aber den Vorwurf, daß ich durch meine Sterbestunde Hanneh, die unvergleichlichste der Frauen aller Länder, deine Emmeh ausgenommen, in eine traurige Witwe verwandle, den kann ich nicht auf mir sitzen lassen; das mußt du einsehen, ohne daß ich es dir zu sagen brauche!“
    Der heißblütige, kleine Kerl ahnte gar nicht, zu welchen Übertreibungen und Unmöglichkeiten er sich durch seinen Zorn hatte hinreißen lassen; er konnte sich in solchen Augenblicken zu ganz ungeheuerlichen Gedanken und Kombinationen versteigen. Als er das Ruder wieder in die Hand genommen hatte, brummte er noch lange vor sich hin; der Witwen- und Waisen-Sturm wollte sich nur langsam in ihm legen.
    Dann kamen wir an

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