20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
Sindijeh vorüber und sahen, daß die Perser hier nicht angelegt hatten, ebenso in Saadijeh. Als wir dann am Nachmittage Mansurijeh erreichten, stand ein Mann mit seinem Weib am Ufer, welche uns schon von weitem zuwinkten, anzuhalten.
„Sihdi, die wünschen mitzufahren“, sagte Halef. „Kann man verlangen, daß wir uns eine solche Last aufbürden?“
„Verstelle dich nicht“, antwortete ich; „dein gutes Herz war doch sogleich entschlossen, die beiden mitzunehmen. Ich kenne dich!“
„Ja, Effendi, du kennst deinen Halef sehr genau. Leuten, welche so arm sind, daß sie nicht einmal einige Ziegenhäute zu einem Kellek besitzen, darf man eine solche Bitte nicht abschlagen. Sie wollen sicher nach Bagdad; ein Mann bringt das wohl fertig; aber von den zarten Füßen eines Weibes darf man keine solche Anstrengung verlangen. Wollen wir hinüberlenken?“
„Ja“, antwortete ich, obgleich ich in Beziehung auf die Zartheit der hiesigen Frauenfüße ganz anderer Ansicht war als er.
Als wir uns dem Ufer näherten und da in langsame Bewegung kamen, hörten wir, daß wir richtig vermutet hatten. Der Mann bat uns, ihn und seine Frau mitzunehmen; er könne uns zwar nichts dafür geben, werde aber aus Dankbarkeit für uns beten.
„Es kam vor einer Stunde ein Floß mit drei Personen vorüber“, fügte er hinzu. „Wir riefen ihnen unsere Bitte zu; sie nannten uns aber verdammte Sunniten und fuhren weiter. Allah vernichte diese abgefallenen Anhänger der Irrlehre!“
Als unser Kellek das Ufer berührte, stieg das Paar zu uns herüber, dann kehrten wir nach der Mitte des Stromes zurück. Die ‚zarten‘ Füße der Frau waren größer als diejenigen des Mannes, ein Umstand, den man bei den Beduinen, selbst den seßhaft gewordenen, sehr oft beobachten kann, weil die Männer fast jeden Weg nur zu Pferd machen.
Die beiden Leute hatten nichts bei sich als ein wenig Proviant, welcher in einen alten Lappen gewickelt war. Der Mann trug keine Waffen. Sie machten zunächst gar keinen üblen Eindruck und waren so bescheiden, sich ganz hinten an dem Rand des Floßes niederzusetzen. Da ich dort ganz in ihrer Nähe das Ruder regierte, konnte ich sie beobachten, ohne daß es auffällig wurde. Da sah ich denn zu meiner Überraschung an dem Finger des Mannes genauso einen silbernen Ring, wie ich deren zwei neben dem goldenen in der Tasche hatte; natürlich wußte ich sofort, woran ich war.
Sobald der Lauf des Flusses es erlaubte, das Hintersteuer zu verlassen, ging ich zu Halef nach dem Vorderteil und fragte ihn:
„Wie gefallen dir diese Leute?“
Ich bediente mich, um ja nicht verstanden zu werden, falls eins unserer Worte hinten gehört werden sollte, des Maghreb-Arabisch, welches Halef als von dorther stammend ganz vorzüglich sprach. Er antwortete in demselben Dialekte:
„Das sind arme Menschen, die uns, außer daß wir sie mitnehmen, jedenfalls ganz gleichgültig sein können. Aber warum fragst du mich in der Sprache meiner Heimat, Sihdi?“
„Um nicht verstanden zu werden. Diese zwei Personen dürfen uns nicht so gleichgültig sein, wie du denkst; sie haben Böses gegen uns vor.“
„Allah! – Wirklich? Wieso Böses?“
„Schau dich nicht um, und sieh sie nicht an; beherrsche dein Gesicht; sie dürfen nicht merken, daß wir von ihnen sprechen. Sie haben nämlich vor, uns an die Perser auszuliefern.“
„Maschallah! Hast du einen Grund, ihnen dieses zuzutrauen?“
„Ich traue es ihnen nicht nur zu, sondern ich bin überzeugt, daß sie diese Absicht haben. Der Mann hat nämlich den Ring der Sillan am Finger stecken.“
„Ist es kein anderer Ring?“
„Nein. Wie gut, daß ich unsere noch in der Tasche und dir keinen von ihnen gegeben habe! Du hättest ihn wahrscheinlich angesteckt.“
„Ja, das hätte ich getan, Sihdi.“
„Dann hätten diese Leute ihn jedenfalls gesehen, und dadurch wäre verraten worden, daß ich sie nicht in das Wasser geworfen habe. Wir werden überhaupt jetzt keinen am Finger tragen.“
„Bist du der Ansicht, daß sie mit den Persern gesprochen haben?“
„Ja.“
„Da müßten sie diesen bekannt sein!“
„Allerdings. Der ‚Vater der Gewürze‘ bekleidet einen höhern Grad; er kennt also wahrscheinlich alle Mitglieder derjenigen Gegenden, die ihm zugewiesen sind oder in denen er zu tun hat.“
„Ich dachte, daß es Sillan nur in Persien gebe!“
„Ich nicht. Ich erinnere dich an unsere gestrige Vermutung, daß die Sillan vielleicht mit den Babi in irgendeinem
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