20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
welcher sich Bab (Pforte) nannte, weil er lehrte, daß man durch ihn zu Gott gelange. Seine Anhänger glauben, daß der Bab höher als Mohammed stehe, daß es in der Welt nichts Böses, also auch keine Sünde gebe und daß das Gebet nicht unbedingt nötig sei. Sie verbieten den Frauen, sich mit dem Schleier zu verhüllen, und wollen dem Mann nur eine Frau erlauben. Dies alles verstößt gegen die Lehren der Sunna und der Schia. Die weltliche Regierung haben sie sich dadurch zur Feindin gemacht, daß sie neunzehn Oberpriester haben wollen, welche über dem Herrscher stehen sollen.“
„Das wird der Schah nie zugeben!“
„Richtig! Nassr-ed-din hat sehr strenge Maßregeln gegen sie ergriffen, welche sich in grausame Verfolgungen verwandelten, als einige Babi ein Attentat gegen das Leben des Schah ausführten. Alle, welche als Anhänger der Sekte erkannt und ergriffen wurden, starben einen qualvollen Martertod; die andern waren gezwungen, scheinbar ihrem Glauben zu entsagen oder sich außerhalb des Landes zu flüchten. Aber im stillen zählt diese Sekte viele, viele tausend Anhänger, welche fest zusammenhalten, sich gegenseitig schützen und helfen, kein Opfer scheuen und, wenn es ihren Glauben gilt, auch vor keinem Verbrechen, und wenn es das schwerste sei, zurückschrecken. Menschen, welche behaupten, daß es keine Sünde gebe, kennen auch den Begriff und das Wort Verbrechen nicht.“
„Grad und genau wie so einer kommt mir der Perser vor, dem ich die Peitsche gegeben habe!“
„Mir auch. Ich bin überzeugt, daß die Babi der Regierung von Persien noch viel zu schaffen machen werden, wie auch dieser von dir Gezüchtigte uns sehr zu schaffen machen wird, falls unser Weg sich mit dem seinigen wieder einmal kreuzen sollte.“
„Meinst du, daß es besser wäre, wenn ich ihn nicht geschlagen hätte?“
„Darüber wollen wir uns jetzt keine Gedanken machen. Es ist geschehen und also nicht zu ändern. Ich ersuche dich aber, mich ein andres mal erst um Erlaubnis zu fragen, ehe du zur Peitsche greifst!“
„Sihdi, das ist nicht möglich! Was sollen die, denen ich die Karbatsch geben will, von mir denken, wenn ich dich erst bitte, es tun zu dürfen? Ich würde die Hochachtung beleidigen, welche ich und alle Menschen mir, dem berühmten Hadschi Halef Omar, zu zollen habe.“
„Du brauchst nicht so zu fragen, daß man es hört. Es genügt ein Blick auf mich, den ich dir auch durch einen Blick beantworte.“
„Wirst du diesen Blick aber auch verstehen? Ich weiß nicht, ob der Blick des Prügelns von den andern Arten der Blicke zu unterscheiden ist.“
„Ich unterscheide ihn; darauf kannst du dich verlassen.“
„Und nun sag: Wirst du die Ringe alle drei behalten?“
„Nein. Einen gebe ich dir; aber du darfst ihn erst dann anstecken, wenn wir uns von den Persern getrennt haben, denn sie sollen nicht wissen, daß wir ihre Ringe noch besitzen.“
„Ich bin zufriedengestellt. Allah sei Dank, daß du gekommen bist, mich abzuholen! Mein Leben verfloß in der letzten Zeit wie ein Nest voll Hühnereier.“
„Sonderbarer Vergleich!“
„Er ist gar nicht sonderbar. Wie in diesem Nest ein Ei dem andern gleicht, so war in meinem Leben ein Tag dem andern auch vollständig gleich. Ich sehnte mich nach Taten, fand aber keine Gelegenheit; und wenn es ja einmal eine Gelegenheit gab, so bekam ich keine Erlaubnis dazu.“
„Wallah! Hast du um Erlaubnis zu fragen?“
„Ich habe es nicht nötig, aber ich tue es dennoch, denn der Friede im einzelnen Zelt ist ebenso nützlich wie der Friede zwischen den Völkern. Oder fragst du etwa deine Emmeh nicht, wenn ein Abenteuer dich von ihrer lieblichen Seite fortlocken will?“
„In meinem Vaterland gibt es nicht das, was du Abenteuer nennst.“
„Dann sind die Bewohner eurer Oasen nicht zu beklagen! Nun begreife ich, warum du so gern in fremde Länder gehst, und das ist auch gut für mich, denn kaum haben wir unsere Reise erst angetreten, so haben wir schon drei Schiiten gefangen, drei Ringe des Geheimnisses erobert und zwei Hiebe mit der Peitsche ausgeteilt. Die Kraft der Männlichkeit ist wieder in mir munter geworden; die Tapferkeit erwacht in meinem Herzen, und meine Träume führen mir die Siege vor, welche wir miteinander erringen werden.“
„Das gönne ich dir, lieber Halef! Und weil man nur im Schlaf träumen kann und dir diese im voraus genommenen Siege so große Freude machen, so kannst du jetzt nichts besseres tun als schlafen. Gute Nacht
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