20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
wie Säcke herab; unter den Augen bildete die Haut je einen blutrot schimmernden Beutel; es gehörte keine hervorragende Phantasie dazu, die dicken Lippen für Salamiwürste zu halten; die Äuglein waren fast gar nicht mehr zu sehen. Nach unten wurde das Gesicht durch eine Unterkehle abgeschlossen, welche ganz gewiß das Gewicht eines fetten Bologneser-Schweinchens hatte, und nach oben durch einen Fes, aus dessen Fettflecken, wenn er ausgekocht wurde, sehr wahrscheinlich ein Kilo Hammeltalg gewonnen werden konnte. Die einzige Kleidung dieses menschlichen Tranfasses schien in dem von oben bis unten zugeknöpften, aber sehr zerrissenen Kaftan zu bestehen, der keine Farbe mehr hatte, aber doch in allen möglichen Farben glänzte. Dieses dünne, an vielen Stellen offene Gewand ließ die erstaunlichen Umrisse der elefantenartigen Arme und Beine deutlich erkennen. Und nun gar der Leib, der Leib! Diese Taille, diese Taille! Indem ich daran dachte, ihn später einmal beschreiben zu müssen, wollte es mir angst und bange werden. Das ausgewachsenste Walroß war ein hungriger Waisenknabe im Verhältnisse zu dem Umfang dieses Kascheloten in Gestalt eines türkischen Lakaien. Und die Füße! Die Pantoffel, in denen sie steckten! Das waren die schönsten Donaukähne mit Halbverdeck! Wäre ich Millionär gewesen, so hätte ich getrost mein ganzes Vermögen auf die Behauptung setzen dürfen, daß es diesem armen Manne unmöglich sei, sich nur zehn Zoll weit niederzubücken. Und dabei sollte er den Obliegenheiten eines Dieners nachkommen! Von einem richtigen, wirklichen Gehen konnte bei ihm keine Rede sein; die Fortbewegung war ihm nur durch ein steifes Vorwärtsschieben der Beine möglich. Stand ihm doch schon jetzt, wo er jedenfalls nichts weiter getan als nur eine oder zwei Türen geöffnet hatte, der helle Schweiß auf der Stirn. Da war es freilich kein Wunder, daß der Herr in eigener Person hatte zu uns an die Pforte kommen müssen. Aber ein lieber, guter Kerl war er doch, dieser Dicke, denn sein Gesicht strahlte geradezu von Dienstwilligkeit, als er in vertraulich-devotem Tone fragte:
„Was willst du, Effendi? Du hast geklatscht. Schon wieder, schon wieder! Wann werde ich doch einmal in Ruhe gelassen werden! Aber befiehl nur getrost; ich werde gern tun, was du gebietest.“
„Kaffee und Tabak!“ lautete die Antwort seines Herrn. „Du siehst, daß ich Gäste habe!“
„Kaffee? Allah, o Allah!“ seufzte der Dicke, indem er die Äuglein verdrehte.
„Was wimmerst du denn? Mach schnell! Man setzt doch den Gästen Kaffee vor!“
„Ja, man setzt, man setzt, Effendi; das weiß ich wohl. Man setzt – – – nämlich, wenn man welchen hat.“
„Wie? Du hättest keinen?“
„Nein.“
„Aber du hast doch vorgestern sechs Piaster von mir verlangt, um welchen zu holen!“
„Das habe ich; ja, das habe ich, Effendi.“
„Und du hast Kaffee geholt?“
„Ja, ich schwöre dir bei allen Propheten und Kalifen, daß ich welchen geholt habe.“
„Wo ist er denn hingekommen?“
„Er ist alle.“
„Alle? Ich habe doch gar keinen getrunken, meiner Augen wegen.“
„Oh, Effendi, zürne nicht; ich bin ganz unschuldig, denn grad meiner Augen wegen muß ich Kaffee trinken, um sie für deinen Dienst zu schärfen.“
„Aber für sechs Piaster in zwei Tagen!“
„Meinst du etwa, daß es umgekehrt sein soll, daß der treueste aller Diener in sechs Tagen für zwei Piaster Kaffee trinken soll? Und wieviel bekommt man für sechs Piaster? Wenn ich gehe, um Kaffee zu kaufen, muß ich auf dem Hinwege zweimal beim Kawedschi (Kaffeewirt) einkehren, um mich zu stärken, und auf dem Heimweg wieder zweimal. Das kostet vier Piaster, bleiben also für den Einkauf nur zwei Piaster übrig. Wieviel bekommt man dafür? Du siehst ein, o Effendi, daß ich unschuldig, ganz unschuldig bin!“
„Aber ich muß meinen Gästen doch Kaffee vorsetzen lassen!“
„Ja, das mußt du, das mußt du ganz bestimmt. Gib mir also wieder sechs Piaster, damit ich gehe, welchen zu holen!“
„O jazik – wehe! Wenn ich dich schicke, kehrst du wieder viermal ein und kommst erst heut abend wieder, um für zwei Piaster Binn (ungemahlene Bohnen) zu bringen. Ich bin außer mir; ich weiß nicht, was ich machen soll!“
Da dieses halb zum Diener und halb zu mir gesprochen worden war, sagte ich begütigend:
„Mach dir keine Sorgen, Effendi! Wir hatten uns für unterwegs mit Kaffee versehen und haben welchen übrig, der in der Satteltasche steckt. Mein
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