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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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erinnern, daß die betreffende Wohnung in den Palmengärten im Süden der Stadt lag. Wir fanden sie trotz der Zeit, welche inzwischen vergangen war, sehr leicht, hielten dieses Mal aber nicht an der schmalen Pforte, sondern vor dem Tor an, welches an der andern Seite des Gartens lag. Dort stiegen wir ab, und ich klopfte. Ich mußte das mehreremale tun, und es dauerte lange Zeit ehe ich einen sehr langsamen, schlürfenden Schritt hörte, der sich von innen dem Tor näherte. Es befand sich eine kleine Lücke in demselben, welche geöffnet wurde. Wir sahen zunächst eine lange, spitze Nase erscheinen, noch viel spitzer, als sie früher gewesen war, und hierauf ein altes, fahles, sehr runzeliges Gesicht. Die blöd gewordenen Augen musterten uns durch die großen, runden Brillengläser, und mit dünner, zitternder Stimme wurden wir gefragt:
    „Was wollt ihr hier?“
    Ich erkannte ihn; es war unser damaliger Wirt, der einstige türkische Offizier polnischer Nationalität; er hatte damals noch keine Brille getragen und war inzwischen sehr gealtert. Wahrscheinlich kannte er mich nicht mehr. Da er sich des Arabischen bediente, antwortete ich ihm in derselben Sprache:
    „Wohnst du allein in diesem Haus?“
    „Warum willst du das wissen?“ erkundigte er sich mißtrauisch.
    „Weil wir dich bitten möchten, hier bei dir einkehren zu dürfen.“
    „Ich habe keinen Platz für fremde Leute.“
    „Wir wünschen die Wohnung nicht umsonst, sondern werden gern bezahlen.“
    „Ich vermiete nicht. Auch sehe ich, daß ihr Pferde habt, für welche bei mir kein Raum vorhanden ist.“
    „Du hast einen großen Hof. Ein Teil desselben ist überdacht; da haben viel mehr als nur zwei Pferde Platz.“
    „Trzaskawica! Du kennst den Hof? Mensch, dir ist nun erst recht nicht zu trauen! Packt euch fort!“
    Er wollte die Öffnung schließen; ich verhinderte dies mit der Hand und beruhigte ihn:
    „Du brauchst kein Mißtrauen zu hegen. Wir sind ehrliche Leute und haben dir Grüße zu bringen.“
    „Grüße? Von wem?“
    „Erinnerst du dich, daß einmal ein persischer Prinz mit zwei Frauen und Dienerschaft bei dir gewohnt hat?“
    „Ja, ja“, antwortete er schnell. „Es war ein Effendi aus Deutschland mit seinem arabischen Begleiter dabei.“
    „Dieser Deutsche wurde Kara Ben Nemsi genannt?“
    „Ja. Kennst du ihn?“
    „Ich kenne ihn und habe dir Grüße von ihm zu überbringen.“
    „So lebt er noch? Er war nur kurze Zeit bei mir, aber ich habe ihn sehr liebgewonnen. Sag schnell, wo er sich befindet und wie es ihm ergeht!“
    „Ist es nicht besser, daß ich dir dies in deiner Wohnung sage?“
    „Allerdings, allerdings! Kommt also herein! Ich werde euch öffnen.“
    Das Pförtchen auf der andern Seite schien mehr als dieses Tor in Gebrauch zu sein. Er mußte alle Kraft seiner schwachen, zitternden Hände anstrengen, um den Schlüssel im Schloß umzudrehen, und dann wollte sich der Flügel des Tores nicht in Bewegung setzen, so daß wir von außen helfen mußten. Als er dann doch offen war, sahen wir den Alten grad wie damals in den riesigen Pantoffeln und dem langen, unten ausgefransten, ganz und gar abgetragenen Kaftan vor uns stehen. Ich schob, nachdem wir die Pferde hereingezogen hatten, das Tor wieder zu, verschloß es und gab ihm den Schlüssel.
    „Kommt zunächst in den Hof!“ forderte er uns auf und schlurfte dann mit seinen dürren Beinen durch die Gartenanlagen vor uns her, bis wir den Hof erreichten. Dort banden wir die Pferde an; dann führte er uns in den Hausflur, in dessen Hintergrund die uns bekannte Treppe aufwärts führte. Hier öffnete er die Türe rechts, und wir traten in die Bibliothek, welche genau das frühere Aussehen und dieselbe Einrichtung hatte. Nachdem er uns aufforderte, mit ihm auf dem Diwan Platz zu nehmen, klatschte er nach orientalischer Sitte in die Hände. Ich war gespannt, welcher dienstbare Geist auf dieses Zeichen erscheinen werde. Ich konnte mir den ganz entsetzlich dicken Ganymed jener Zeit, der den Wein seines Herrn ausgetrunken und ihm dafür Wasser in die Flasche gegossen hatte, so deutlich vorstellen, als ob ich ihn erst gestern zum letztenmal gesehen hätte.
    Der Wirt mußte noch verschiedenemal klatschen, und endlich, nachdem auch ich meine Hände sehr kräftig in Bewegung gesetzt hatte, öffnete sich die Tür, und es erschien – – – ja, das war er, er selber, aber viel, viel dicker noch, als er vordem gewesen war und in meinem Gedächtnisse gelebt hatte. Die Wangen hingen

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